Xanten 1
SIEGFRIEDS RÖMISCHE DOMSTADT MIT X
"Varus, Varus, gib mir meine Legionen wieder!", soll der römische Kaiser Augustus ausgerufen haben nach der verlorenen Schlacht am Teutoburger Wald. Fast genau 2000 Jahre ist das nun her. Anno 9 nach Christus erlitten die Römer unter dem Befehl ihres Feldherrn Publius Quinctilius Varus eine vernichtende Niederlage gegen den Germanenführer Arminius, auch Hermann der Cherusker genannt. Mit drei Legionen waren sie über den Rhein gezogen, um die Germanen zu unterwerfen, eine davon, die Achtzehnte, aus dem Lager Vetera, dem heutigen Xanten. Durch Varus also trat Deutschlands einzige Stadt mit X zum ersten Mal ins Rampenlicht der Geschichte. Um das Jahr 100 herum gründeten die Römer hier auch die Stadt Colonia Ulpia Traiana, die in der jüngsten Vergangenheit Stück für Stück ausgegraben und teilweise restauriert wurde. Unser Besuch der Geburtsstadt des Nibelungenhelden Siegfried mit dem größten Dom am Rhein zwischen Köln und dem Meer beginnt deshalb im größten Archäologischen Park Deutschlands.
Reportage (DW-Radio, 07.09.2008; rbb-INFOradio, 01.11.2008):
[Atmo: Gladiatorenkampf]
Waffenklirrende Schaukämpfe der Gladiatoren faszinieren noch heute die Besucher im Amphitheater von Xanten. Als hier noch die römische Stadt Colonia Ulpia Traiana war, fasste es 10.000 Zuschauer. "Brot und Spiele" hieß damals die Devise. Bei dem schaurigen Spektakel wurden wehrlose Menschen Bären und Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Das und mehr erzählt unsere Führerin im Archäologischen Park.
[O-Ton Susanne Rensing:]
"Ganz zum Schluss kam das, was für die Zuschauer hier am schönsten war, die Gladiatoren. Ausgebildete Sklaven, unterschiedlich bewaffnet, und dann ging das unten paarweise um Leben und Tod. Sie sehen, die Spiele waren brutal und grausam, aber bei dem Volk sehr beliebt."
Susanne Rensing, die, wie man hört, aus Ungarn stammt, zeigt aber auch die andere Seite der römischen Kultur – wie zum Beispiel die Thermen mit einem hoch entwickelten System der Warmwasserbereitung. Dort genossen die Bürger von Colonia Ulpia Traiana, was wir heute als Wellness bezeichnen würden.
[O-Ton Susanne Rensing:]
"Über 30 Grad Hitze, fast 90 Prozent Luftfeuchtigkeit, sehr anstrengend. Und jetzt verstehen wir schon, wozu brauchte man Kaltbald, wozu brauchte man Ruheraum. Es war wichtig, dass man sich zwischendurch erholen konnte."
Ebenso wie das Amphitheater wurden die Thermen teilweise wiederaufgebaut. Hier hat man Wert darauf gelegt, dass die Besucher nicht nur Mauerreste zu sehen kriegen. Und das kommt offenbar bei den meisten gut an.
[O-Töne Touristen:]
"Es sollte Bezirke geben, wo es so ist, wie es eben verlassen worden ist, und ich finde es gut, wenn es Bezirke gibt, wo es wiederaufgebaut wird, aber mit Qualität, nicht als Disneyland oder als Rummel, sondern wirklich als Geschichtsdokument mit entsprechenden Erklärungen und mit entsprechender Ausstattung."
"Man kriegt natürlich einen doch viel besseren Eindruck über die Ausmaße, die das damals hatte, allerdings vermischt es etwas das Bild. Man weiß ja gar nicht, war ist jetzt noch original und was nicht."
"Das find’ ich hier ganz in Ordnung, hat mit Disneyland nix zu tun. Das is’ ja nur 'n Bruchteil von dem, was die hier früher besiedelt haben."
Das antike Xanten war die drittgrößte Stadt nördlich der Alpen. Sie hatte sich in unmittelbarer Nachbarschaft von Castra Vetera, dem Lager von Varus’ Legionären gebildet. Dort ist gegen Ende des 2. Jahrhunderts der Heilige Viktor den Märtyrertod gestorben, zusammen mit anderen Christen. Das erfahren wir bei einem historischen Stadtrundgang von Georg Motnik.
[O-Ton Georg Motnik:]
"Soldaten christlichen Glaubens aus der so genannten Thebäischen Legion, die hatten sich geweigert, dem Standbild des Kaisers oder dem Standbild des Staatsgottes Jupiter Opfer zu bringen und sind dann hingerichtet worden. In der Legende heißt es, seien sie dann erstmal westlich von Xanten in den Sumpf geworfen worden, später ausgegraben und hier beigesetzt worden."
Hier, das ist der Dom St. Viktor, der im Mittelalter als Stiftskirche über der Grabstätte des Heiligen erbaut wurde.
[O-Ton Georg Motnik:]
"Und jetzt noch etwas zum Namen Xanten: Bei den heiligen Märtyrern heißt ad sanctos martyres. Lassen Sie das Wörtchen martyres weg, dann haben Sie nur noch ad sanctos. Ich glaub’, da braucht man nicht allzu viel Phantasie zu entwickeln, um festzustellen, aus sanctos hat sich Xanten entwickelt."
Neben dem Dom mit seinen markanten Spitztürmen konzentriert sich der Pilgerstrom der Touristen vor allem auf die Kriemhildmühle, eine alte Windmühle, die noch voll funktionsfähig ist. Ihr Name erinnert an den Nibelungenhelden Siegfried, der der Sage nach von seiner Vaterstadt Xanten auszog, die schöne Burgundertochter Kriemhild zu freien.
[O-Ton Georg Motnik:]
1 Meter 98 groß, so eine Kante, und dann läuft das Ganze zu solch einer Taille! – Waschbrettbauch! Dat muss so'n Arnold-Schwarzenegger-Verschnitt gewesen sein, dieser Siegfried: blaue Augen, blondes, gelocktes Haar. Sie brauchen nur mich anzuschauen, dann ham Se in etwa 'ne Vorstellung vom Siegfried."
Na ja, so in etwa. An der Stadtmauer neben der Mühle jedenfalls hängt ein Bronzerelief, auf dem man die erste Strophe des Nibelungenliedes lesen kann. Da heißt es auch, dass Siegfried von einer Burg in Xanten kam. Unser Stadtführer glaubt nicht so recht daran.
[O-Ton Georg Motnik:]
"Der Dichter hat sich Folgendes überlegt bei der Abfassung des Nibelungenliedes: Ich brauch’ einen Geburtsort für Siegfried, und da dieses Stift in Xanten und auch die bestehende Kirche damals sehr bekannt waren, hat er sich gesagt, lass' doch den Siegfried einfach in Xanten zur Welt kommen, dann ham wer 'nen Geburtsort, der nicht so unbekannt ist."
Sie müssen dem anonymen Dichter dankbar sein, denn er hat ihre Stadt bekannter gemacht als alle Römer vor ihm zusammen. Stolz nennt sich Xanten heute "Siegfriedstadt", obwohl es keinerlei Beweise für die Existenz des Drachentöters gibt. Die Besucher sind trotzdem hellauf begeistert.
[O-Töne Touristen:]
"Super. Ganz schöne, tolle Stadt."
"Vor dreieinhalb Wochen waren wir das erstemal hier, das hat uns so gut gefallen, dass wir gesagt haben, so, wir verbringen 'n Wochenende hier. Und jetzt sind wir nach dreieinhalb Wochen schon wieder 'n ganzes Wochenende mit Übernachtung hier. Und es ist wunderschön hier."
"Sehr schön, urige Stadt. Toll."
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