Quedlinburg (Sachsen-Anhalt)


AUF DEM HOLZWEG
- in der Stadt der tausend Fachwerkhäuser

Wer möchte da nicht gerne Holzwurm sein? – In Quedlinburg am Nordrand des Harzes gibt es mehr als 1300 Fachwerkhäuser. Das ist weltrekordverdächtig. Drum wurde Quedlinburg 1994, genau 1000 Jahre nach Verleihung der Stadtrechte, von der Unesco in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen.
Das historische Stadtbild ist fast komplett erhalten. Im Zweiten Weltkrieg blieb es von Bombenangriffen verschont. Zu Zeiten der DDR hat es zwar kräftig gelitten, weil das Geld für Sanierungsmaßnahmen fehlte, aber seit der Wende 1989 wurde die Kleinstadt in Sachsen-Anhalt Stück für Stück, Fachwerkhaus für Fachwerkhaus, restauriert. Heute erstrahlt sie in nie dagewesenem Glanz. Wer durch die engen Gassen wandelt, fühlt sich zurückversetzt in längst vergangene Jahrhunderte. Und da war Holz der vorherrschende Baustoff. So wird ein Rundgang durch Quedlinburg zu einem "Holzweg", der keineswegs in die Irre führt.

Reportage (Radio hr4, 24.10.2009):

[zum Anhören klicken: komplette Reportage]

Ausgerechnet vor dem steinernen Rathaus am Marktplatz empfängt uns Sibylle Rathmann, die Quedlinburger Fachfrau für Fachwerk. Doch von hier aus führt sie uns auf den "Holzweg" durch das 90 Hektar große Welterbe ihrer Heimatstadt. Und zuallererst lernen wir, dass Fachwerk nicht gleich Fachwerk ist.

[O-Ton Sibylle Rathmann:]
"Die Ständerbauweise ist die, kann man sagen, die eigentlich alte, ursprüngliche Bauweise. Da reicht der senkrechte Pfostenstiel oder -ständer von der Grundschwelle bis unters Dach. Man hat so ab dem 15. Jahrhundert eine neue Bauweise, das ist die Stockwerksbauweise, und da heißt es, dass man für jede Etage einen eigenen Pfostenstiel oder -ständer benutzt."

Aus der Zeit der mittelalterlichen Ständerbauweise sind nur wenige Gebäude erhalten. Die meisten stammen aus dem 16. und 17. Jahrhundert, viele davon mit kunstvollen Schnitzereien verziert – vor allem mit den für die Gegend typischen fächerförmigen Palmetten. Hier und da sieht man auch einen fünfzackigen Stern, den so genannten Drudenfuß.

[O-Ton Sibylle Rathmann:]
"Dieser Drudenfuß wurde eingeschnitzt, um den Teufel, das Böse, das Feuer von dem Haus fernzuhalten, denn das größte Problem in einer Fachwerkstadt ist das Feuer gewesen, und man wollte sich schützen, und im 16. Jahrhundert hat man’s auch mit Hilfe der Drudenfüße getan. Den finden Sie übrigens auch in Goethes 'Faust'."

Palmetten
Drudenfuß
Stadtführerin Sibylle Rathmann

Nicht der Teufel, aber das Besondere, liegt im Detail. Und das würde dem ungeübten Betrachter häufig entgehen. Zum Glück weist Sibylle Rathmann, unsere Stadtführerin, immer wieder darauf hin. Auch auf Details, durch die sich Quedlinburg von allen anderen Fachwerkstädten unterscheidet.

[O-Ton Sibylle Rathmann:]
"Sie werden niemals einen pyramidenförmigen Balkenkopf finden. Wenn doch, müssen Sie uns informieren. Denn diese Form, sagen wir, gibt’s nur bei uns. Das ist der Quedlinburger Sonderstil, das 17. Jahrhundert."

Natürlich sehen wir auf unserem zweistündigen Rundgang nur einen Bruchteil der tausendfachen Fachwerkpracht. Trotzdem haben die Teilnehmer nirgendwo anders so viele Fachwerkhäuser gesehen.

[O-Töne Touristen:]
"Nein, noch nie, obwohl ich eigentliche eine ganze Menge süddeutscher Orte kenne. Aber meistens sind sie nur im Zentrum zu finden."
"In dieser Fülle überhaupt nicht, und das ist wirklich beeindruckend, gefällt mir sehr gut."
"Das, was die hier gemacht haben, da muss man wirklich dankbar sein, weil hier wirklich 'ne Leistung erbracht worden ist für die Zukunft und auch für uns, dass wir das alles genießen können."

Häuserzeile am Schlossberg
Häuser am Marktplatz
Deutsches Fachwerk-Zentrum

Damit das auch so bleibt, haben die Quedlinburger vorgesorgt. Das Fachwerk-Fachwissen wird auch an künftige Generationen weitergegeben. Dafür sorgt die Jugendbauhütte.

[O-Ton Sibylle Rathmann:]
"Das ist ein Projekt, wo Jugendliche in diesem Freiwilligen sozialen Jahr in der Denkmalpflege alte Techniken lernen. Dort werden keine Leute ausgebildet, sondern einfach, dass Jugendliche lernen damit umzugehen und fachgerecht Hölzer zu bearbeiten. Und diese Bauhütte war die erste für Deutschland. Mittlerweise gibt es auch in anderen Städten solche Bauhütten. Wir in Quedlinburg, das war hier so das Vorreiterprojekt."

Ein altes Fachwerkhaus wurde schon mit Hilfe der Jugendbauhütte saniert. Weitere sollen folgen, ehe sie ein gefundenes Fressen für den Holzwurm werden.

 

__________________________________________________

Hier geht's zurück zum Start.