Rhode Island (USA)
EIN PLATZ FÜR WASSERRATTEN
- Amerikas kleiner "Ocean State"
In den Vereinigten Staaten ist ja alles eine Nummer größer als anderswo. So lautet das gängige Klischee, und meist stimmt es auch. Allein der Bundesstaat Texas ist etwa doppelt so groß, Alaska fast fünfmal (!) so groß wie Deutschland. Ganz anders dagegen Rhode Island: Der kleinste Staat der USA spielt in einer Liga mit Deutschlands kleinstem Flächenland, dem Saarland. Rhode Island liegt an der Nordostküste der USA, zwischen New York und Boston, und wird zu den sechs Neuengland-Staaten gezählt. Anders als der Name vermuten lässt, ist es aber keine Insel*). Dennoch wird Rhode Island der "Ocean State" genannt, weist es doch trotz seiner geringen Größe eine Küstenlinie von rund 650 Kilometern auf. Ein Platz für Wasserratten aller Art also (und solche, die es werden wollen).
Reportage (rbb-INFOradio, 03.09.2016):
[Musik: "I am sailing..." von Rod Stewart]
Der Traum vom Segeln – Newport, Rhode Island, lebt ihn. Im Hafen reiht sich eine Yacht an die andere, eine schöner als die andere. Segeln ist hier die Sportart Nr. 1. Da kommt selbst bei einer Landratte wie mir der Wunsch auf es selber mal auszuprobieren.
Das Dragon Sailing Team bietet einen Schnupperkurs an. Nick Woviotis ist mein Skipper. Seine erste Lektion erteilt er noch an Land.
[O-Ton Nick Woviotis:]
"Everything on a sailboat is controlled ...
Alles auf einem Segelboot wird von Leinen kontrolliert. Und eine Leine nennen wir Reep. Wenn ich also sage, ziehe an dem Reep, musst du an der Leine ziehen. Zuerst zeige ich dir ein paar wichtige Seemannsknoten. Wenn wir dann auf das Boot gehen, werden wir es auftakeln, und dabei werden wir die Knoten anwenden, bevor wir zu unserer Tour starten.
... before we go on tour first."
Viele Handgriffe sind nötig, bis wir in See stechen können. Nick gibt die Anweisungen, und ich gebe mein Bestes.
[Atmo: "Pull, pull, pull ... perfect! And that's it."]
Endlich ist das Boot startklar. Die steife Brise trägt uns mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf die offene Bucht hinaus. Mein Job besteht hauptsächlich darin, das Steuerruder zu bedienen. Für die Wendemanöver ist Nick zuständig. Wenn er das Segel dreht, müssen wir blitzschnell die Sitzposition wechseln. Trotzdem sorgen Windböen dafür, dass sich unser Boot immer wieder bedenklich zur Seite neigt. Aber mein Skipper bleibt cool:
"We have a solid lead keel ...
Wir haben einen soliden Bleikiel, er hat die Form einer Finne und ist ungefähr einen Meter lang. Dieser Kiel hält das Boot aufrecht und treibt es gleichzeitig vorwärts. Wenn der Wind das Segel bläht, versucht er das Boot umzukippen, aber der Kiel verhindert das und sorgt für die Vorwärtsbewegung. Und das Ruder hilft uns dann, das Boot zu steuern.
... and the rudder helps us turning around."
So trotzen wir mit Hilfe von Ruder und Kiel zwei Stunden lang den Elementen, ehe wir zur Segelschule zurückkehren. Obwohl es einen Riesenspaß gemacht hat, bin ich froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. Dann baut Nick mich wieder auf:
[O-Ton Nick Woviotis:]
"If this day was your first one on a sailboat ...
Dafür, dass dieser Tag dein erster auf einem Segelboot war, hat der Wind ganz schön geblasen. So zwischen 12 und 20 Knoten. Die Bedingungen waren für Anfänger nicht ideal. Du hast das sehr gut gemacht. Wenn du es mir nicht gesagt hättest, hätte ich nicht geglaubt, dass es dein erstes Mal war. Du solltest weitermachen. Du bist ein Naturtalent.
... I think, you're a natural."
Na ja, die Amis sind halt manchmal übertrieben höflich. Meine Segel-Künste jedenfalls reichen für den America's Cup noch nicht aus. Und der ist hier in Newport das Maß aller Dinge. Ein halbes Jahrhundert lang, von 1930 bis '83, war die kleine Hafenstadt in Rhode Island Austragungsort dieser ältesten und prestigeträchtigsten Segelregatta der Welt.
[Musik: "I am sailing ..." von Rod Stewart]
1963 hat die 12-Meter-Yacht "Weatherly" den Cup gewonnen. Ihr Besitzer George Hill empfängt mich an Bord. '63 war aus seiner Sicht ein ganz besonderes Jahr in der Cup-Geschichte, nicht nur weil sein Boot so erfolgreich war.
"John F. Kennedy was the president ...
John F. Kennedy war der Präsident. Die Familie seiner Frau Jackie hatte hier in Newport ein Sommerhaus. Sie kamen und schauten sich Teile des Rennens an und richteten die Crew Dinners aus. Newport machte als Veranstaltungsort eine gute Figur. Dann kamen weitere Rennen '64 und '67. Dann 1970, '74 und '77. 1980 verteidigte Dennis Conner den Cup mit der 'Freedom'. 1983 verlor er mit der 'Liberty' gegen Australien. 'Australia II' gewann den Cup und beendete die längste Siegesserie, die es jemals im Sport gegeben hat.
... longest winning streak in history in any sport."
Seit 1851 hatte immer ein amerikanisches Boot die begehrte Trophäe gewonnen und nach 1983 nie wieder. Deshalb ist Newport auch kein Austragungsort mehr, zehrt aber noch von der ruhmreichen Vergangenheit. Hergebracht seinerzeit hatte den America's Cup Harold Vanderbilt, mehrfacher Cup-Gewinner und Multimillionär. Seine Familie besaß eine Sommerresidenz in Newport.
[Atmo: Meeresrauschen]
Großvater Cornelius Vanderbilt, ein Eisenbahn-Magnat, hatte die palastartige Villa Ende des 19. Jahrhunderts erbauen lassen. Direkt an der Küste. "The Breakers" nannte er sie – nach den Brechern, die hier ans felsige Ufer schlagen. Als Vorbilder dienten ihm die Schlösser des europäischen Hochadels. Heute ist die Villa ein Museum. Bei einem Rundgang wird die gute alte Zeit wieder lebendig. Per Audioguide auch in deutscher Sprache:
"Auf dem Rasen, der bis zum Rand der Klippe reicht, fanden im Sommer Partys statt. 'Ja, die Rasenfeste!' Helen Bruberg lebte als kleines Mädchen hier im Haus. Ihre Mutter arbeitete als Köchin. 'Wir legten uns flach ins Gras und schauten heimlich zu, die schönen Kleider, die Ballkleider, die die Frauen trugen. Na ja, es waren schließlich Millionäre – einfach fantastisch.'"
Die Vanderbilt-Villa ist nicht die einzige Sommerresidenz des Geldadels in Newport, aber die größte und luxuriöseste. Leider hatte der Hausherr am Allerwenigsten davon.
"Bei seinen Sommeraufenthalten in Newport gehörte Vanderbilt zu einem einflussreichen Kreis von Männern, doch Cornelius Vanderbilt galt als der mächtigste von allen. Vanderbilt konnte 'The Breakers' nur einen Sommer lang in guter Gesundheit genießen. 1896 erlitt er einen Schlaganfall und starb 1899 im Alter von 56 Jahren."
Von der Veranda der Villa schaut man aufs Meer hinaus. Irgendwo da draußen ist mein nächstes Ziel, die vorgelagerte Insel Block Island. Sie ist nicht nur bei Strandurlaubern beliebt, sie wird auch von Anglern sehr geschätzt.
[Geräusch: High-Speed-Fähre]
Die High-Speed-Fähre bringt mich in einer halben Stunde vom Festland hinüber auf das idyllische Eiland. Viele Hotels dort sind im viktorianischen Stil erbaut, denn der Tourismus auf Block Island hat eine lange Tradition. Das gilt auch für die Küche. Fast-food-Ketten sind verboten. Stattdessen setzen die Insulaner auf Qualität und Originalität. Im "Atlantic Inn" zum Beispiel schwingt Brian Hartman den Kochlöffel. Weitgereist, wie er ist, verleiht er seinen Gerichten mit asiatischen oder orientalischen Gewürzen eine besondere Raffinesse. Und das kommt bei den Gästen gut an:
[O-Ton Restaurant-Besucherin:]
"It was an absolutely delicious pan-seared Moroccan scallops. Really tasty. A litte salty, but I like salt."
Sie hatte in der Pfanne gebratene Jakobsmuscheln auf marokkanische Art. Sehr lecker. Ein bisschen salzig zwar, aber sie mag es so.
Von den Gewürzen abgesehen, baut der Küchenchef auf regionale Zutaten. Frischer Fisch und Meeresfrüchte sind im "Ocean State" immer verfügbar. Seafood spielt deshalb nicht nur in Brians Küche eine wichtige Rolle.
"It's incredibly important ...
Das ist unglaublich wichtig. Rhode Island hat ja im Verhältnis zu seiner Größe die längste Küstenlinie aller Staaten und einige der besten Fischereihäfen an der Ostküste. Wir haben hier großartige Muscheln, Thunfisch, Schwertfisch, Seebarsche, für die Rhode Island berühmt ist. Und speziell hier auf der Insel kann überall gefischt werden, egal ob um den alten oder den neuen Hafen herum, im Great Salt Pond oder an den Stränden – hier sind alle möglichen Fische leicht zu bekommen.
... all accessible right here."
Na, dann wollen wir doch mal die Probe aufs Exempel machen. Am nächsten Tag treffe ich mich mit Hank Hewitt. Er gilt als einer der besten Angler auf der Insel. Zu seinen bevorzugten Revieren gehört der bereits genannte Great Salt Pond, eine weite Bucht, die nur durch eine schmale Öffnung mit dem Ozean verbunden ist. Weil auch an diesem Morgen wieder ein kräftiger Wind weht, gibt mir Hank noch ein paar Verhaltensregeln mit auf den Weg, bevor ich ihn im Kajak auf seinem Fischzug begleiten darf.
"Safety is the most important aspect ...
Sicherheit ist das wichtigste. Achte darauf, wie du dich fühlst. Wenn du frierst oder dich sonst unwohl fühlst, lass' es mich wissen.
... then let me know, okay."
Gerade erst geht am Horizont die Sonne auf. Warum mussten wir so früh los, will ich von Hank wissen.
[O-Ton Hank Hewitt:]
"Because sunset and sunrise ...
Weil Sonnenuntergang und Sonnenaufgang die besten Zeiten zum Fischen sind. Die Fische beißen bevorzugt, wenn das Licht wechselt. Aber jetzt lass' uns ein bisschen weiter in die Bucht rein paddeln.
... the cove a litte bit more."
Der Fischreichtum um Block Island herum ist enorm, erzählt er mir unterwegs. Speziell hier im Great Salt Pond tummeln sich vor allem Seebarsche und Blaubarsche. Aber an diesem Morgen wirft Hank seine Angel immer wieder vergeblich aus. Die Biester wollen einfach nicht beißen. Nach anderthalb Stunden gibt er das Signal zum geordneten Rückzug.
[O-Ton Hank Hewitt:]
"Number 1: cold air, cold air coming in ...
Nummer 1: kalte Luft zieht herein. Das Wasser wird kälter, und der Wind verursacht hohe Wellen. Falls wir kentern, würden unsere Körper sehr schnell auskühlen. Es hat also mehr mit der Sicherheit zu tun als mit dem Fischen an sich.
... as a fishing concern."
Ein Flop also, dieser Angeltrip, könnte man meinen, aber dafür hat das Paddeln an sich zu viel Spaß gemacht. Und es schreit nach mehr. Nur diesmal ein bisschen anders. Die Kajak-Vermietung in Narragansett auf dem Festland hat auch Stand-up-paddling im Angebot. Dabei steht man auf einer Art Surfbrett und arbeitet sich mit einem Stechpaddel voran. Natürlich geht auch dies nicht ganz ohne Einweisung:
[O-Ton Connor:]
"When you're standing on the board ...
Wenn du auf dem Board stehst, greife mit einer Hand das obere Ende des Paddels, mit der andern die Mitte des Schafts, dann ziehe das Paddel von der Nase des Boards bis zu deinen Füßen. So ist es am effektivsten. Wenn du die Seite wechselst, wechsle auch die Hände. Setze beim Paddeln die Schultern mit ein, dann wirst du nicht so schnell müde.
... anyway too quickly."
Mein Übungsgelände ist eine breite Flussmündung. Zunächst auf Knien geht es los. Der heikelste Moment ist das Aufrichten in den Stand. Aber dann geht's fast wie von alleine. Ich habe sogar Zeit und Muße, die vielen Seevögel im Schilf zu beobachten. Erst als ich mich zu sicher fühle, stürze ich dann doch irgendwann kopfüber ins Wasser. Egal, Mund abwischen und weiter. Nach einer Stunde komme ich abgekämpft, aber frohgemut zum Ausgangspunkt zurück. Jason Constadine, der Chef der Kajak-Vermietung, ist voll des Lobes:
"I think, you did a great job ...
Du hast einen guten Job gemacht. Du bist schnell reingekommen, am Ende hast du es richtig gut drauf gehabt. Beim nächsten Mal paddeln wir von hier bis rüber nach Block Island.
... to Block Island from here."
Auch das ist vielleicht etwas übertrieben. Aber nochmal Balsam fürs Ego.
Trotzdem will ich es fortan etwas ruhiger angehen lassen. Eine gemütliche Tour mit dem Motorboot, das wäre doch was – und die beste Option, um die Hauptstadt Providence zu erkunden. Denn auch Rhode Islands Kapitale liegt an einem Fluss – genau genommen sogar an drei Flüssen.
"So this area in front of us ...
Hier vor uns ist der Zusammenfluss der drei Flüsse in Providence. Der, auf dem wir gerade unterwegs sind, ist der Providence River. Er fließt nach Süden zur Narragansett Bay, und er ist entstanden aus den beiden Flüssen, die von Norden kommen. Hier rechts haben wir den Moshassuck, was in der Sprache der Ureinwohner soviel heißt, wie 'wo die Elche trinken'. Und zu unserer Linken haben wir den Woonasquatucket. Das wird meist übersetzt mit: 'wo der Gezeitenstrom endet'.
... translated: where the tides end."
Bootskapitän Tom McGinn weiß so ziemlich alles über Providence.. Nur ab und zu muss er seinen Redefluss unterbrechen, um vor einer niedrigen Brücke zu warnen. Dann heißt es: Köpfe einziehen. Eine dieser Brücken wurde sogar mal scherzhaft als breiteste der Welt bezeichnet:
[O-Ton Tom McGinn:}
"The time between the 1890's and 1930's ...
Zwischen den 1890er und den 1930er Jahren war der Fluss ziemlich eklig. Vor allem durch Textil- und Schmuckindustrie. Damals war der Fluss der größte Abwasserkanal. Das sah wahrscheinlich nicht schön aus und hat gestunken. Also wurde er zubetoniert. Erst 1988 hat man ihn wieder freigelegt, die Flusspromenade und den Park angelegt. Diese neuen Brücken gibt es alle erst seit 1993/94.
... in 1993 and 1994."
Ansonsten hat Providence viele historische Gebäude im typisch neuenglischen Backstein-Look zu bieten. Ein paar kleinere Wolkenkratzer gibt’s auch und eines der größten Staatskapitole der USA – quasi umgekehrt proportional zur Winzigkeit von Rhode Island. Den Touristen an Bord gefällt, was sie zu sehen und zu hören kriegen:
[O-Ton Bootstouristin:]
"It's wonderful. It's such a great way to see the city and learn about the history of what made Providence what it is today."
Sie findet's wunderbar, eine tolle Art, die Stadt zu sehen und zu erfahren, wie Providence wurde, was es heute ist.
Auch ich hab's genossen. Trotzdem zieht es mich aus der Enge der Stadt bald wieder hinaus ans offene Meer. Denn nur da wird der "Ocean State" seinem Namen vollauf gerecht. Und außerdem – da war doch noch dieser Traum...
[Musik: "I am sailing..." von Rod Stewart]
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Hinweis:
*) Über die Entstehung des Namens "Rhode Island" kursieren mehrere Versionen. Die am häufigsten genannte ist folgende:
Der italienische Seefahrer Giovanni da Verrazano erkundete Anfang des 16. Jahrhunderts die nordamerikanische Ostküste und kam dabei auch in die Narragansett Bay. Dort sah er eine kleine Insel, die ihn an Rhodos im Mittelmeer erinnerte. Erst später wurde der Name, den Verrazano der Insel gegeben hatte, auf die gesamte Region um die Bucht herum übertragen. Die kleine Insel selbst heißt inzwischen Aquidneck Island.
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