Triest (Italien) und Umgebung
WIENER CHARME AN DER ADRIA
Es war einmal ein kleines unbedeutendes Hafenstädtchen an der Adria, dessen Bewohner Schutz suchten vor den Expansionsgelüsten der benachbarten Seemacht Venedig. Da riefen sie in ihrer Not den österreichischen Herzog Leopold III. zu Hilfe und unterwarfen sich zum Dank freiwillig seiner Herrschaft. So geschehen zu Triest anno 1382. Was damals wahrscheinlich niemand ahnte: Mehr als 500 Jahre lang sollte die Stadt den Habsburgern treu bleiben. Sie entwickelte sich zu deren wichtigstem Seehafen, errang Größe und Wohlstand, wovon noch viele prächtige Palazzi zeugen. Nach dem Ende des 1. Weltkriegs fiel Triest an Italien. Nach dem 2. Weltkrieg verlor es sein Hinterland an Jugoslawien, heute Slowenien bzw. Kroatien. Von dort ist es kulturell stark beeinflusst. Doch auch viel von ihrem österreichischen Charme haben Stadt und Umgebung bewahrt. Man könnte sagen: Triest ist wie ein italienischer Eisbecher mit Wiener Schlagobers. Einige Beispiele gefällig?
Reportage (rbb-INFOradio, 07.10.2017; Kurzfassung für Radio SWR4 RP, 12.11.2017):
Die Lipizzaner:
Es ist ein Spektakel, wenn Hunderte schneeweißer Pferde abends von der Weide zurück in ihre Ställe getrieben werden. Wir befinden uns im Gestüt Lipica, unmittelbar hinter der slowenischen Grenze, aber nur ein paar Autominuten von Triest entfernt. Inmitten grüner Wiesen und Wälder des Karstgebirges werden die berühmten Lipizzaner gezüchtet und ausgebildet. Ihr Name ist untrennbar mit der Spanischen Hofreitschule in Wien verbunden.
[Atmo: "Wiener Blut" von Johann Strauß]
Zu Melodien des Walzerkönigs Johann Strauß zeigt das Gestüt eine bunte Show und präsentiert die hohe Kunst der Pferdedressur, zirkusreife Kapriolen inclusive. Die edlen weißen Rösser sind nicht nur wunderschön, sondern auch sehr gelehrig, erfahren die Zuschauer in mehreren Sprachen:
"Der Lipizzaner ist ein mittelgroßes Pferd mit dem typischen Körperbau eines Barockpferdes. Die wahre Schönheit des Pferdes zeigt sich jedoch erst in seiner Bewegung. Dem Charakter nach sind Lipizzaner intelligent, stolz und würdevoll, aber gleichzeitig bescheiden und ausdauernd und deshalb bestens geeignet für die Hofreitschule. Sie gelten als sehr gute Kutschen- und Reitpferde."
[Atmo: Applaus]
Bis die Tiere reif sind für die Show, ist es aber ein langer Weg, erzählt Zdenka Žunič bei einer Führung durch das weitläufige Gelände und die Stallungen.
[O-Ton Zdenka Žunič:]
"Es ist immer bei dieser klassischen Ausbildung Zeit und Geduld an erster Stelle. Vielleicht ist es nur eine Viertelstunde an der Longe und eventuell auch eine halbe Stunde. Das ganze Geheimnis ist: Man muss das Tier ja beobachten, man muss sehen, wie lange bleibt es aufmerksam auf das, was ich mit ihm mache. Wenn diese Aufmerksamkeit nachlässt, soll man aufhören. Es soll mit Freude mit Ihnen rausgehen, mit Ihnen mitmachen, und es wird es nur machen, wenn Sie sich eben auch an das Tier anpassen."
"Das Gebiet hier bietet ideale Zuchtbedingungen, ähnliche Zuchtbedingungen wie Spanien. 16. Jahrhundert ist eine Zeit, wo man sich die Pferde hauptsächlich aus der iberischen Halbinsel holt, von dort kommen auch die ersten Pferde nach Lipica. Weitere kommen aus Italien, Pferde aus der Umgebung, die Karstpferde, werden benützt – also man kreuzt. Man beginnt gleichzeitig mit der Zucht hier, benützend verschiedene Rassen, aber gezielt auserwählt, um eben die Bedingungen zu erfüllen, für was sie gebraucht werden. Mit der Zeit, also nicht von Beginn an, wird daraus tatsächlich das kaiserliche Pferd. Lipica hier ist die Zucht und die Aufzucht, von hier gehen sie auch nach Wien."
Mit der Auflösung der k.u.k.-Monarchie vor knapp 100 Jahren allerdings wird die Verbindung gekappt. Seither kommen die Lipizzaner der Wiener Hofreitschule aus der Steiermark. Um Inzucht zu vermeiden, gibt es aber immer noch einen regen Austausch an Zuchthengsten mit dem Gestüt Lipica.
Das Schloss Miramare:
Malerisch auf einer Klippe am Meer liegt unübersehbar das Castello di Miramare. Hier, im Triestiner Vorort Grignano, residierte eine der tragischsten Figuren des Hauses Habsburg: Erzherzog Maximilian mit seiner Gemahlin Charlotte. Der jüngere Bruder von Kaiser Franz Joseph befehligte die österreichische Kriegsflotte im Hafen von Triest und ließ das Märchenschloss ab 1856 nach eigenen Plänen erbauen.
Noch heute ist es originalgetreu eingerichtet und kann mit Audioguide besichtigt werden. Beeindruckend sind unter anderem die unzähligen Gemälde. Eines davon zeigt den Besuch von Kaiserin Sissi:
[Atmo: Audioguide]
"Die Szene spielt im kleinen Hafen, wo Sissi, elegant dunkel gekleidet, von Charlotte und anderen Mitgliedern der Familie Habsburg warmherzig empfangen wird. Und Maximilian? Sie haben ihn sicher schon gefunden nach den vielen Porträts, die Sie im Schloss gesehen haben. Er steht auf der Schaluppe im Vordergrund, neben ihm sein Bruder Franz Joseph."
Gleich daneben hängt ein Gemälde, das ein noch wichtigeres Ereignis für Miramare und seinen Schlossherrn widerspiegelt: den Besuch einer Delegation von Monarchisten aus dem fernen Mexiko:
[Atmo: Audioguide]
"Es ist der 3. Oktober 1863. Vor Maximilian stehend, hält der Leiter der Delegation, Gutiérrez de Estrada, das Dokument der Ernennung zum Kaiser von Mexiko in der Hand. Die Ernennung von Maximilian zum Kaiser war von Napoleon III. unterstützt worden, der dachte, so die großen politischen und sozialen Probleme Mexikos lösen zu können und auch der Kirche zu Hilfe zu eilen, die ihren Besitz durch die Republikaner von Juárez requiriert sah. Sicherlich sah Maximilian bei dieser Gelegenheit eine Möglichkeit die Größe der Familie Habsburg wie zur Zeit Karls V. wiederherzustellen."
Das "mexikanische Abenteuer", wie es oft genannt wird, endete allerdings in einer Katastrophe. Gerade zweieinhalb Jahre im Amt, wurde Kaiser Maximilian von republikanischen Rebellen gefangen genommen und erschossen. Die ganze Tragik spürt der geneigte Besucher von Miramare im 10 Meter hohen und prunkvoll ausgestatteten Thronsaal.
[Atmo: Audioguide:]
"Gehen Sie nun zum Thron, einfach und doch fein verarbeitet mit den vier vergoldeten Greifen, die den Sitz halten. Hierhin ist Maximilian nie gekommen, der also leider nie den fertiggestellten Saal gesehen hat. Ein Zeugnis der ideellen Gegenwärtigkeit finden wir in dem Gemälde von Santiago Rebull von 1865, das Maximilian als Kaiser von Mexiko darstellt."
Und auch im Triestiner Stadtbild ist er "ideell gegenwärtig". Eine Statue des ehemaligen Flottenkommandanten ziert die Piazza Venezia und blickt voller Stolz aufs Meer hinaus.
Das Theresianische Viertel:
Erzherzog Maximilian ist nicht der einzige Österreicher, dem in Triest ein Denkmal gesetzt wurde. Da wäre noch Kaiser Leopold I., der 1660 als erster habsburgischer Herrscher die damals noch kleine Hafenstadt besuchte. Dann Karl VI., der 1719 Triest zum Freihafen erklärte und damit die wirtschaftliche Blütezeit einläutete. Zumindest eine Gedenktafel erinnert an dessen Tochter, Kaiserin Maria Theresia, der ein ganzes Stadtviertel seinen Namen verdankt: der Borgo Teresiano.
[O-Ton Tiziana Zamai:]
"Sie wollte, dass Triest eine große Stadt wurde. Sie wollte Platz für neue Einwohner finden. Und um neue Einwohner nach Triest anzulocken, gab sie mehrere Freiheiten. Zum Beispiel gab sie Religionsfreiheit, Sprachfreiheit, und auch alle Gemeinden, die aus ganz Europa nach Triest kamen, um hier in einem Freihafen zu arbeiten und zu wohnen, hatten die Möglichkeit, ihre eigenen Kirchen zu haben. Also, sie konnten sogar ein religiöses Gebäude für sich bauen."
Stadtführerin Tiziana Zamai deutet auf die imposante serbisch-orthodoxe Kirche. Auch eine griechisch-orthodoxe Kirche gibt es hier und eine der größten jüdischen Synagogen Europas. Um den nötigen Platz zu schaffen, ließ Maria Theresia ab der Mitte des 18. Jahrhunderts Salzpfannen vor der Küste trockenlegen, um dem Meer neues Land abzugewinnen. Dabei entstand auch ein neues Hafengebiet: der Canal Grande. Klingt nach Venedig, hatte aber andere Vorbilder:
"Als Maria Theresia diese Salinen trockenlegen und dieses neue Stadtviertel bauen wollte, dachte sie eigentlich an Städte in Nordeuropa wie zum Beispiel Amsterdam mit vielen Kanälen. Sie wollte eigentlich mehrere Kanäle hier bauen lassen, aber dann wurde nur dieser Kanal gebaut, Canal Grande, und es ist das Zentrum von Borgo Teresiano."
Moderne Frachtschiffe haben dort keinen Platz mehr, nur kleine Boote liegen heute noch an den Kaimauern vertäut. Gesäumt ist der Canal Grande von Palazzi im Stil des Barock, der Neo-Klassik und des Eklektizismus. Einige beherbergen Restaurants und Cafés mit Blick auf den Kanal.
[O-Ton Tiziana Zamai:]
"Die Leute von Triest sind Genießer, also lieben es auch im Café zu sitzen, ein bisschen faulenzen sozusagen. Wir lieben die Sonne, das Meer. Es gibt hier im Zentrum viele Leute, die im Büro arbeiten, und nach der Arbeit, ungefähr um fünf, sechs Uhr, gehen alle ins Café, um einen Aperitivo, einen Prosecco oder einen Aperol Spritz zu trinken."
Warum nicht ein Gläschen auf Kaiserin Maria Theresia? Für die Urmutter des Borgo Teresiano ist jetzt endlich auch ein eigenes Denkmal geplant. Zu Ehren ihres 300. Geburtstages. Eine Bürgerinitiative sammelt bereits Geld dafür.*)
Die Wiener Caféhäuser:
Die Triestiner lieben es im Café zu sitzen, haben wir gerade erfahren. Und um dieser Lust zu frönen, gibt es auch klassische Wiener Caféhäuser aus der guten alten Zeit wie das "Tommaseo", gegründet 1830. Es ist das Lieblingscafé von Simone Rainer.
Die gebürtige Österreicherin lebt seit Jahren in Triest und leitet dort eine Sprachschule. Was sie am "Caffè Tommaseo" so schätzt, ist zum einen das stilvolle Ambiente mit Stuckverzierungen und zum anderen die verlockende Mischung aus italienischen und österreichischen Spezialitäten.
"Buona sera, signori. Prego.
- Buona sera. Io vorrei un pezzo di Sachertorte e da bere un capo in bi.
- Sachertorte va bene con panna?
- Si, si.
- Va bene.
- Benissimo. io prendo invece un strudel.
- Anche a Lei con panna?
- No, senza panna.
- Va bene.
- E poi prendo un capo in bi.
- Benissimo. Grazie."
"Capo in bi" ist ein Mini-Cappuccino, der in einer Art Schnapsglas serviert wird. Eine Triestiner Besonderheit. Die anderen Spezialitäten sind wohlbekannt – allerdings nur oberflächlich betrachtet:
"Die Sachertorte schmeckt ja auch sehr lecker in Triest, ist aber so ein bisschen anders, wird sich natürlich immer ein bisschen abheben von der typischen Wiener Sachertorte. Manche haben dann noch 'ne Schicht Creme dabei, Schokoloadencreme, die in der Original-Sachertorte nichts zu suchen hätte. Und auch der Apfelstrudel schmeckt ganz fein, ist aber vollgefüllt mit Pinolis, mit Pinienkernen, die auch ganz toll schmecken und dem Apfelstrudel so seine eigene typische Triestiner Note verleihen."
Eine gelungene Symbiose also zwischen zwei verschiedenen Kulturen. Aber das war nicht immer so. Ausgerechnet die Kaffeehäuser nach Wiener Art wurden im 19. Jahrhundert zu Treffpunkten für Dissidenten, die den Anschluss von Triest an Italien forderten. Auch der Namensgeber des Caffè Tommaseo war ein italienischer Patriot. Heute dagegen trauern viele Triestiner ihrer österreichischen Vergangenheit fast schon ein bisschen nach:
[O-Ton Simone Rainer:]
"Mit dieser k.u.k.-Zeit verbindet ein Triestiner natürlich die Größe der Stadt. Triest hatte nun mal zur k.u.k.-Zeit Reichtum, die wichtigsten Leute der Welt kamen hierher, Intellektuelle waren hier. Das war einfach die Größe, die Glanzzeit der Stadt, und daran erinnert sich natürlich ein jeder gerne, und diese Glanzzeit hätten die Leute heute auch noch gerne. Wer möchte nicht in einer glanzvollen Stadt leben?"
Richtig. Und und auch die alten Caféhäuser tragen zur Nostalgie bei. Denn sie lassen viel vom alten Glanz erahnen.
Die Osmize:
Was macht der Triestiner in seiner Freizeit, wenn er nicht im Café sitzt? Er fährt hinauf ins Karstgebirge und schaut in einer Osmiza vorbei – einer Buschenschenke, wie man in Österreich sagt. Auch diese Osmize gehen auf die Habsburger zurück, erklärt Lucia Milič vom Verband für Agrotourismus. Sie gehört wie die meisten Karstbewohner der slowenisch-sprachigen Minderheit an, spricht aber auch etwas deutsch.
[O-Ton Lucia Milič:]
"Osmiza ist ein traditionelles slowenisches Haus. Das ist eine Tradition von Maria Theresia, weil sie haben eine Revolution gemacht mit kleinen Bauernhöfen im Triester Land, und praktisch jede Familie kann ohne Steuer für acht Tage ihre Produkte senden."
Verkaufen meint sie. Und heute sind es sogar dreißig Tage. Da servieren die Bauern dann hausgemachte Salami, hausgemachten Schinken, Käse und selbstgebackenes Brot. Dazu wird Wein ausgeschenkt aus eigenem Anbau. Zu den beliebtesten Rebsorten im Karst gehört der Vitovska.
"Vitovska ist ein Weißwein. Er ist trocken. Alle unsere Weine sind trocken, weil wir haben nur Steine. Unsere Weingärten sind praktisch über dem Stein, und der bleibt in unserem Wein und macht unseren Wein sehr mineralhaltig, sehr trocken. Vitovska ist auch ein sehr eleganter Wein. Er hat so viele Aromen, zum Beispiel weiße Schokolade, Vanille und Holunder. Im Vitovska finden Sie auch alle Sorten von weißen Blumen, zum Beispiel Jasmin."
Und wer lieber Rotwein mag, probiert am besten einen Terrano – slowenisch: teran. Der ist wie Medizin, verspricht Lucia. Er hält jung, hilft gegen freie Radikale ...
[O-Ton Lucia Milič:]
"Und unser roter Wein ist gut für Anämie, weil er hat sehr viel iron, ist sehr gut für unser Blut. Unseren Teran haben auch Maria Theresia und Franz Joseph getrunken, weil dieser Kaiser hat so viele Probleme mit Anämie gehabt."
Aber auch wer keine Krone trägt und nicht unter Blutarmut leidet, darf sich ruhig mal ein Schlückchen genehmigen.
Na, dann bleibt nur noch "prost" zu sagen.
"Salute.
- Na zdravje!"
Ein Fazit:
[Musik: "An der schönen blauen Donau" von Johann Strauß]
Das sind nur ein paar Beispiele für den Wiener Charme in Triest und Umgebung. Es gäbe noch ein paar mehr – vor allem in der Architektur und auf den Speisekarten.
Trotzdem ist Triest kein Wien für Arme. Denn zumindest in einem Punkt ist die italienische Hafenstadt der österreichischen Hauptstadt sogar überlegen: Die Wiener mögen zwar ihre blaue Donau haben, aber die Triestiner haben die blaue Adria!
[Atmo: Wellen]
__________________________________________________
Hinweis:
*) Nach meinen letzten Informationen ist das Maria-Theresia-Denkmal derzeit im Entstehen. In einer Abstimmung haben sich die Bürger von Triest für den Entwurf der drei Künstler Nicola Facchini, Eric Gerini und Elena Pockay entschieden. Das Werk besteht aus einem großen Taler, auf dem das Konterfei der Kaiserin zu sehen ist. Die Statue soll auf der Piazza Ponterosso inmitten des Borgo Teresiano aufgestellt. Die Region Friaul-Julisch Venetien hat sich bereit erklärt das Denkmal zu finanzieren.
__________________________________________________
TATORT TRIEST
- Interview mit dem Krimi-Autor Veit Heinichen
Immer dem Täter auf der Spur: Commissario Proteo Laurenti jagt Mörder und Verbrecher aller Art – nicht in einer der großen Metropolen, sondern im (zumindest auf den ersten Blick) eher beschaulichen Triest. Doch vor allem der Hafen und die unmittelbare Nähe zu den Balkan-Ländern bilden ideale Voraussetzungen für reale Kriminelle ebenso wie für fiktive Schurken.
Veit Heinichen, im badischen Villingen-Schwenningen geboren, studierter Betriebswirt, gelernter Buchhändler und passionierter Schriftsteller, lebt seit 1997 dauerhaft in Triest und landet mit seinen dort angesiedelten Kriminalromanen regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Er schreibt auf Deutsch, aber seine Bücher werden auch ins Italienische und in zahlreiche andere Sprachen übersetzt. Einige wurden zudem von der ARD verfilmt.
Seine Leser ebenso wie die Kritiker sind voll des Lobes über die Commissario-Laurenti-Reihe. Als "Fellini des Kriminalromans" zum Beispiel hat der Literaturwissenschaftler Walter Grünzweig Heinichen bezeichnet. Der Wahl-Triestiner schreibt nicht nur spannende Detektivgeschichten, sondern bindet sie auch meisterhaft in ein politisches, soziales und kulturelles Umfeld ein.
"Ich halte den Roman für ein ideales Mittel des Abbilds einer Gesellschaft, einer Epoche und eines Raumes", sagt Heinichen. "In einer Zeit, in der die oberflächliche Meldung dominiert und nicht mehr die Hintergrund-Recherche, hat der Roman eine ganz wichtige Funktion. Ich habe keinen Chefredakteur oder Herausgeber, der mir sagt, dieses Thema behandeln wir nicht oder dafür hast du eine halbe Spalte. Ich kann mich nur selbst zensieren, in dem ich schlecht erzähle."
Zum Interview am 15. Mai 2018 bittet mich Veit Heinichen in die "Gran Malabar" an der Piazza San Giovanni im Herzen von Triest. Die kleine unscheinbare Bar ist ein Schauplatz seines Laurenti-Krimis "Die Zeitungsfrau" (erschienen als Taschenbuch im Münchner Piper-Verlag). Proteo Laurenti, der eigentlich rastlose Kommissar, legt hier doch immer mal wieder ein Päuschen ein. Auf einen Espresso, zum Entspannen, aber auch zum Nachdenken.
Der Autor und ich nehmen unter einem großen Schirm im Freien Platz. Nicht ganz unproblematisch, wie sich herausstellt. Um uns herum braust der Verkehr. Omnibusse, Autos, Vespa-Roller umkreisen die Piazza. Kirchenglocken läuten. Am Ende tobt sich auch noch ein Gewitter über uns aus. Der Regen prasselt auf den Schirm herab. Wir bleiben in seinem Schutz zwar einigermaßen trocken, aber die Geräuschkulisse wird dadurch noch um eine Facette erweitert. Für die Tonqualität bitte ich deshalb vorab um Entschuldigung. Was Veit Heinichen zu sagen hat, ist aber mühelos zu verstehen – und als kluger, politsch denkender und reflektierender Mensch hat er eine ganze Menge zu sagen:
[Im Anschluss das (fast) ungekürzte Interview zum Zuhören. Um lange Ladezeiten zu vermeiden, habe ich es in leichter konsumierbare Häppchen unterteilt.]
Warum wollten Sie sich denn hier in der "Gran Malabar" mit mir treffen?
Die "Gran Malabar" kommt ja auch in Ihrem Roman "Die Zeitungsfrau" vor. Gibt es denn auch den Zeitungsladen wirklich?
Sie gelten ja als ein Autor, der gerne auch mal gesellschaftskritische Themen aufgreift. Welche Themen haben Sie denn in der "Zeitungsfrau" aufgegriffen?
Mich persönlich erinnert Ihr Commissario Laurenti ein bisschen an Commissario Brunetti von Donna Leon ...
"Den kenne ich nicht."
Den kennen Sie nicht? Dann erübrigt sich eigentlich meine nächste Frage: Ist das Zufall, ist das gewollt, oder sind italienische Kommissare einfach so?
"Ich kann Ihnen zu Commissario Laurenti sagen: ..."
Ihre Romane werden von Kritikern sehr gelobt, auch von den deutschen Lesern. Ich hab' mich mal bei Amazon umgeschaut, was es da so an Rezensionen gibt von Lesern ...
"Ich nicht."
... Das ist also ganz überwiegend sehr, sehr positiv. Wie werden denn die Romane hier in Triest aufgenommen?
Konkretes Beispiel?
Sie mussten sich auch schon mal der Angriffe der Hypo Alpe Adria Bank erwehren, die Ihnen gerichtlich untersagen wollte, deren Verbindungen zur Mafia zu erwähnen. Halten Sie sich jetzt eher zurück, oder ist das ein Ansporn, die Wahrheit auch weiterhin offen auszusprechen?
Sie sagen, Sie schauen kein Fernsehen, aber haben Sie trotzdem die Verfilmungen Ihrer Romane angeschaut?
"Natürlich habe ich sie angeschaut."
Wie haben Sie Ihnen gefallen?
__________________________________________________