Großglockner (Österreich)
WO DER KAISER ZU FUSS HIN GING
- von Heiligenblut zur Franz-Josefs-Höhe
Der österreichische Kaiser Franz Joseph und seine schöne Gemahlin Elisabeth (bestens bekannt aus den "Sissi"-Filmen mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm) galten als Traumpaar unter den gekrönten Häuptern Europas. Doch schon bald nach ihrer Liebesheirat 1854 zogen dunkle Wolken auf. So verzehrte sich die junge Kaiserin in der Wiener Hofburg vor Sehnsucht nach den Bergen ihrer bayerischen Heimat. Ein heftiger Streit mit dem Kaiser über die Erziehung ihrer beiden Kinder führte dann beinahe zu einem ernsten Zerwürfnis. Zur Versöhnung kam es erst bei einer verspäteten Hochzeitsreise nach Kärnten. Die Liebe zum Hochgebirge war eine der wenigen gemeinsamen Interessen des kaiserlichen Paares. Und wenn Elisabeth die Berge so sehr vermisste, was lag da näher, als ihr den höchsten Berg Österreichs, den Großglockner (3.798 m), zu zeigen? Am 7. September 1856 stiegen Kaiser und Kaiserin vom Alpendorf Heiligenblut hinauf zur Pasterze, dem mächtigen Gletscher am Fuße des Glockners. Bei dieser Bergtour erlebte das junge Herrscherpaar einen der schönsten und unbeschwertesten Tage seiner mehr als vierzigjährigen Ehe.
Heute ist der Pfad, den Franz Joseph und Elisabeth gegangen sind, ein Klassiker unter den Wanderwegen im Nationalpark Hohe Tauern: 12,4 Kilometer lang, Schwierigkeitsgrad "mittel" bei einem Höhenunterschied von ca. 1.100 Metern. Und wo einst der Kaiser zu Fuß hin ging, stößt man immer wieder auf Erinnerungen an "Franzl" und "Sissi".
Reportage (Radio hr4, 02.04.2011; hr-iNFO, 05.06.2011; rbb-INFOradio, 22.10.2011):
[Filmausschnitt:]
(Franz Joseph:) "Damit du nicht immer Sehnsucht nach deinen Bergen haben musst, zeig' ich dir mal unsere Berge."
(Sissi:) "Ja, das wär' schön."
Gesagt, getan. Begleitet von einem 116-köpfigen Tross machten sie sich damals auf den Weg, der Kaiser und die Kaiserin. Von der Dorfkirche in Heiligenblut, an der rauschenden Möll entlang, den schneebedeckten Gipfel des Glockners stets im Blick.
Nur begleitet von unserem Bergwanderführer Karl Klinar tun wir es ihnen nach. Vorbei an saftigen Wiesen mit grasenden Kühen …
[Atmo: Kuhglocken]
… geht es bald steil hinauf durch den Wald. Nach rund anderthalb Stunden erreichen wir die Bricciuskapelle. Hier geruhten der Kaiser und die Kaiserin kurz auszuruhen. Und auch wir genehmigen uns die erste Rast an dem kleinen Gotteshaus, das auf eine alte Legende zurückgeht:
[O-Ton Karl Klinar:]
"Briccius war ein Feldherr, der für den Kaiser von Konstantinopel gedient hatte, und der war auf dem Heimweg dann nach vielen Jahren und wollte die Tauern überqueren und war dann ein Lawinenopfer. Und die Bauern haben dann im Frühjahr eben diesen Leichnam gefunden unter der Lawine und stellten dann fest, dass der Mann in seinem Bein ein Fläschchen vom Blut hatte, und der Legende nach war das das Blut vom Jesus, und aufgrund der Papiere haben die dann festgestellt, dass das ein heiliges Blut war und daher auch der Name für diesen Ort."
[Filmausschnitt:]
(Franz Joseph:) "Du, da ist ein Edelweiß!"
(Sissi:) "Wo?"
(Franz Joseph:) "Da drüben, auf dem Felsen! Wart', ich hol dir's!"
Tatsächlich, auf der Alm oberhalb der Bricciuskapelle blühen die seltenen Alpenblumen. Längst stehen sie unter Naturschutz, und so pflücken wir sie nicht, sondern steigen unbeirrt weiter zu der Hochebene, die für Sissi einst Endstation war und die heute ihren Namen trägt.
[O-Ton Karl Klinar:]
"Es war da eine alte Holzhütte, weil das alles Alm war in dem Gebiet. Die Kaiserin blieb hier. Die hat dann praktisch mit den Begleitern und den Förstern beziehungsweise Bauern, die da dabei waren, haben die Rast gemacht und Picknick gemacht, und deswegen heißt das dann Elisabethruhe."
[Filmausschnitt:]
(Sissi:) "Herrlich ist es hier. Ich hab' noch nie so was Schönes gesehen."
(Franz Joseph:) "Gell? Wundervoll!"
Die Aussicht faszinierte Franzl offenbar so sehr, dass er ohne die erschöpfte Sissi weiter bergan kraxelte. Das ist auch uns ein Ansporn. Über enge Serpentinen geht es hinauf bis auf knapp 2.400 Meter. Nach rund viereinhalb Stunden stehen wir an demselben Punkt, an dem einst der Kaiser über die Pasterze hinweg den Großglockner in seiner ganzen Pracht bewundern konnte. Nicht nur ein Denkmal erinnert daran.
"Nachdem der Kaiser Franz Joseph mit ein paar Begleitern da aufgestiegen ist, bis zum Hohen Sattel, ham die dann hier Rast gemacht und eben dann mit Einverständnis von allerhöchster Stelle durften die dann diese Stelle Kaiser-Franz-Josefs-Höhe nennen."
Seit dem Bau der Glocknerstraße kommt man auch mit dem Auto zur Franz-Josefs-Höhe. Und wo der Kaiser zu Fuß hin ging, ist heute alles andere als ein stiller Ort. Sogar ein Parkhaus wurde in den Hang hinein gebaut wegen der vielen Auto-Touristen. Aber nur wer wie einst Franz Joseph den ganzen Weg gewandert ist, kann sich hier oben fühlen wie ein Kaiser oder eine Kaiserin:
[Filmausschnitt:]
(Sissi:) "Hach, ich bin so glücklich, dass du auf diese Idee gekommen bist. Einmal ein paar Tage so zu leben wie andere Menschen."
(Franz Joseph:) "Ja, ich freu' mich auch."
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FRANZL UND SISSI IN HEILIGENBLUT
- die wahre Geschichte
[Auszug aus der Chronik "Reise Ihrer k.k. apostolischen Majestäten Franz Joseph und Elisabeth nach Kärnten im September 1856":]
"Vor uns aber liegt auf frischem Wiesengrün hingebettet das Dorf Heiligenblut, mit seinen wenigen Gehöften traulich an die schöne gothische Kirche sich schmiegend - die freundlichste Idylle im stolzesten Epos der Natur!" ...
"Das Erstaunen, dass ein so hoher Herr, eine so hohe Frau ein so abgelegenes, im Hochgebirge verstecktes Alpendorf besuchen könne, was Manche gar nicht für möglich hielten, hatte die versammtelten schlichten Landleute eigentlich sprachlos gemacht. In stummer Verwunderung hatten sie den langen Zug der Wägen, die vielen Frauen, die glänzenden Uniformen gesehen und umstanden nun lautlos das Pfarrhaus, in welches das herrliche Kaiserpaar verschwunden war. Da rief plötzlich ein Bursche: Unser Kaiser und unsere Kaiserin sollen leben, Vivat! Nun war der Bann gebrochen, der Zauber gelöst - schöner als Pöllerknall und Glockengeläute hallte der Jubelruf treuer Volksliebe lange durch die einsamen Schluchten der Gletscher."
Bereits um fünf Uhr fand im "Glocknerzimmer" des Ortsgasthauses das Diner statt. Die Fragen des Kaisers konzentrierten sich auf die Glocknerbesteigungen, das Fortschreiten der Gletscher [Um 1850 erreichte die Pasterze ihre größte Ausdehnung. Seitdem hat sich der Gletscher um rund zwei Kilometer zurückgezogen.] und die Jagd in den Hochalpen. Serviert wurde Gamsbraten.
Nach dem einstündigen Diner kehrte das Kaiserpaar in den Pfarrhof zurück, wo Pfarrer Kornke der Kaiserin ein Album getrockneter Alpenblumen überreichte. Danach machte das Kaiserpaar einen Spaziergang auf dem Tauernweg. Als Franz Joseph und Elisabeth nach Heiligenblut zurückkehrten, blitzten abermals die Böller auf, und während sich der Kaiser den Staatsgeschäften widmete, wurden auf den Berghöhen Freudenfeuer abgebrannt.
Am nächsten Morgen, es war der 7. September, läuteten schon um 3 Uhr früh die Glocken und verkündeten "den Anbruch des glücklichen Tages".
"Als um 4 Uhr der Schall aller Glocken die Bewohner zur Messe rief, traten allsogleich die Majestäten Arm in Arm aus dem Hause und gingen zur Kirche, geleitet von Bauern, welche Laternen auf Stangen trugen. Der Ortspfarrer reichte den Majestäten an der Schwelle des ehrwürdigen Gotteshauses das Weihwasser und las hierauf eine heiligen Segenmesse, welcher Ihre Majestäten vor dem Altare auf Betschämeln kniend mit erbauter Andacht beiwohnten."
Nach dem Gottesdienst brach die Dämmerung an. Alle Vorkehrungen zum Ritt auf die Pasterze waren bereits getroffen. Führer, Träger und Pferde standen bereit.
"In Begleitung der kaiserlichen Majestäten befanden sich Se. Excellenz F.M.L. Graf Grünne, Se. Durchlaucht Fürst Thurn und Taxis, Oberst Müller, Oberstleutnant John und Major Friedel, welchen sich viele Bewohner der Pfarre Heiligenblut und andere aus der Ferne herbeigekommene Kärntner anschlossen."
Gegen 5 Uhr setzte sich die 118-köpfige Reisegesellschaft in Bewegung (der Kaiser in Lederhosen, mit Gamsbart-Hut; die Kaiserin im Lodenkostüm, mit derben Bergschuhen).
Franz Joseph ging meist dem Zuge voran und machte den ganzen Weg hin und zurück zu Fuß, Elisabeth meist zu Pferd. [Die damals kaum 19-Jährige war zwar eine begeisterte Wanderin, hatte aber erst wenige Wochen zuvor ihr zweites Kind geboren und war nach Einschätzung ihrer Biographin Brigitte Hamann noch zu geschwächt vom Wochenbett, um den ganzen Weg zu laufen.]
Bei der Bricciuskapelle wurde kurz gerastet und das Bild, das die Gründungslegende der Kirche von Heiligenblut darstellt, wurde aus dem kleinen Gotteshaus herausgetragen "und von Ihren Majestäten mit großem Interesse besichtigt." ...
"Bei der 'bösen Platte' wurde auf die Äußerung des Führers, dass es räthlich sei, diese Stelle zu Fuß zurückzulegen, Ihre Majestät die Kaiserin auf einem Tragsessel hinüber getragen, und jenseits vom Kaiser wieder auf das Pferd gehoben."
Unweit der Wolfganghütte pflückte der Kaiser sein erstes Edelweiß. Am Brettboden wurde Rast gehalten. Der Pasterzen-Gletscher reichte damals noch bis unter das Glocknerhaus und so ist es nicht verwunderlich, wenn der Chronist bemerkt, dass der Kaiser vom Gletscher der Kaiserin freudig zuwinkte. Vom Gletscherspaziergang zurückgekehrt, wurde "auf schnell improvisierten Tischen und Bänken ein Frühstück eingenommen, das aus kalten Speisen und Milch bestand, die in der benachbarten Wallner-Sennhütte gewärmt wurde."
Die Einheimischen sangen Heimatlieder, "deren Strophen sie jedes mal mit einem freudigen Toaste auf das geliebte Herrscherpaar schlossen...
Sie fühlten das Glück mit tiefster Rührung und innigster Freude, die sich in immer wiederkehrenden Jubelrufen und begeisterten Vivats Luft machte; sie werden die Erinnerung daran als ein heiliges Kleinod in der Tiefe ihrer Seele bewahren ihr Leben lang. Diese Erinnerung wird auch fortleben als ein geheiligter Moment im Leben des Kärntner Volkes...
Aufgemuntert durch die herablassende Freundlichkeit nahte sich auch ein 11 Jahre alter Bauernjunge ... mit einem Strauße Alpenblumen und sprach Ihre Majestät mit den schlichten Worten an: 'Euere Majestät, da haben S' Edelweiß und Edelrauten!' Ihre Majestät nahmen die gutgemeinte Gabe lächelnd an und ein Geldgeschenk erfreute den kleinen Wagehals."
Während Kaiserin Elisabeth und Graf Grünne auf dem Brettboden zurückblieben, marschierte der Kaiser, begleitet vom Fürsten Thurn und Taxis, Oberst Müller, Major Friedel und weiteren 41 Wanderern hinauf auf den Hohen Sattel.
"Die Wanderung konnte nur zu Fuße gemacht werden und war des vielen, jüngst gefallenen Schnees wegen ungemein beschwerlich." [Und das bereits Anfang September!]
Als Franz Joseph den Felsen erstiegen hatte, brach die Gesellschaft in Jubelrufe aus, und auch auf der Adlersruhe [Schutzhütte am Großglockner] wurde jubelnd die Kaiserfahne geschwungen. Schon am Abend zuvor waren Einheimische hinaufgestiegen.
"Seine Majestät der Kaiser bemerkten, nachdem der Führer mit dem Alpenstock die Stelle angedeutet, mit freiem Auge die kühnen Glocknerfahrer, äußerten freundliche Besorgniß über die Gefahren ... und ermunterten die Führer, ihnen durch Jauchzen Theilnahme und Freude erkennen zu geben ...
Unter den Mitgekommenen war auch Peter Ortner, Wirth von Döllach, der Mehreren der Übrigen aus einer Flasche Rothen Wein als Labetrunk reichte. Als Fürst Taxis sich ein Glas erbat, wagte er den Versuch, Sr. Majestät dem Kaiser auch eines anzubieten. Als dies mit freundlicher Huld angenommen und das Glas geleert ward, erhob sich ein donnerndes Vivat aller Anwesenden. – Viele boten später dem Ortner namhafte Summen für das Glas, aus welchem Se. Majestät getrunken, aber er bewahrt es als eine unschätzbare Habe seiner Familie." ...
"Auf dem Rückwege gingen Se. Majestät festen Schrittes die steile Höhe hinab, während die meisten anderen zur Belustigung Se. Majestät in den hohen Schnee fielen oder stecken blieben ... Se. Majestät erzählten seiner erlauchten Lebensgefährtin den ganzen Verlauf der Partie, wie sich oben alles viel gewaltiger ausnehme, und welche Freude Ihm alles Erlebte gewähre."
Bei der Quelle vor der Bricciuskapelle erfrischten sich die Wanderer mit Wasser. Der Kaiser, gut zu Fuß [Er war schließlich auch gerade erst 26 geworden.], eilte voraus.
"Es war eben gegen 12 Uhr, als Se. Majestät beinahe eine Viertelstunde vor der Karawane am Pfarrhofe anlangten. Von Niemanden erwartet und somit unerkannt setzte Sich Allerhöchstderselbe gemüthlich auf einen Geländerstein der Stiege und lächelte, den Schweiß abtrocknend, dem Führer zu. 'Ist's warm, Christoph?', fragte diesen eine der anwesenden Bäuerinnen, worauf Se. Majestät erwiederten: 'Ziemlich warm.' Jetzt erst wurden Se. Majestät von den Anwesenden erkannt und ehrfurchtsvoll begrüßt ... Allerhöchstderselbe hatte im einfachen grauen Jagdkleide den Hin- und Rückweg ganz zu Fuß gemacht und zeigte im Bergsteigen eine solche Leichtigkeit und Gewandtheit, daß Allerhöchstderselbe von den Führern als der beste Bergsteiger erkannt wurde, der dort noch vorgekommen. Dies erfüllte die versammelten Aelpler mit herzlicher Freude, und als bald darauf auch Ihre Majestät die Kaiserin zurückkehrte und auch an Ihrem Kleide die Spuren der Fußwanderung sichtbar waren, vermochten sie es nicht, ihre Herzensfreude über die jugendliche Kraft und ungezwungene Gewandtheit ihres Herrscherpaares ohne laute Vivats zurückzuhalten."
Nachdem die Majestäten sich umgezogen und erfrischt hatten, besichtigten sie die Kirche. Sie ließen sich vom Pfarrer das Ostensorium mit dem heiligen Blut zeigen und küssten es ehrfürchtig.
"In den Pfarrhof zurückgekehrt, hatten die beiden Majestäten die Gnade, auf die Bitte des Ortspfarrers Ihre Namen in das 'Glocknerbuch' einzutragen, dankten dem Ortspfarrer mit liebenswürdiger Herablassung für die freundliche Beherbergung und bestiegen wieder zur Abfahrt die Reisewägen ...
Tränen der Rührung glänzten in vielen Augen und noch die spätesten Enkel werden erzählen von den schönsten Sonnentagen, die über Heiligenblut geleuchtet. Aus tief gerührten Herzen schallten laute Lebehoch durch die Lüfte, als die geweihten Metallzungen vom alten Thurme das Scheiden der Allverehrten verkündeten und mit donnerndem Geschütze sandten auch die beeisten Wände der Alpen im donnernden Echo ihre Scheidegrüße nach."
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