Fallersleben (Niedersachsen)
EINIGKEIT UND RECHT UND FREIHEIT
- ein Dichter, sein Werk und sein Museum in Wolfsburg
Einigkeit und Recht und Freiheit – 25 Jahre nach dem Mauerfall erscheinen uns diese politischen Errungenschaften fast schon selbstverständlich. Ganz anders 1841, als der Dichter August Heinrich Hoffmann von Fallersleben das "Lied der Deutschen" schrieb. Wegen seiner freiheitlichen Gesinnung wurde der Germanistikprofessor mit einem Berufsverbot belegt und entging mehrfach nur knapp einer Verhaftung. Bis in die Gegenwart hinein ist der rebellische Geist Hoffmann von Fallersleben umstritten. Zu Lebzeiten galt er als Linker, später wurde er von der Rechten fehlinterpretiert und vereinnahmt. Einen differenzierteren Blick auf den Dichter wirft das Mitte Mai 2014 wiedereröffnete Museum in seinem Geburtsort Fallersleben (heute ein Stadtteil von Wolfsburg). Untergebracht im ehemaligen Schloss, damit zwar in historischem Ambiente, aber dennoch in moderner Aufmachung, erläutert das Museum anschaulich Hoffmanns Leben und Werk. Und es zeigt auch, dass wir uns des Dichters und seiner Nationalhymne nicht schämen müssen.
Reportage (Radio hr4, 04.10.2014):
[Atmo: Nationalhymne (klassisch]
Mal klingt es so.
[Atmo: Nationalhymne (Pop-Version]
Mal so.
[Atmo: Nationalhymne (Rap-Version]
Und auch schon mal so.
Deutschland steht wieder zu seiner Hymne. Und daran hat der Fußball großen Anteil, glaubt Gabriele Henkel, die Ausstellungskuratorin im Hoffmann-von-Fallersleben-Museum.
"Es ist im Prinzip so, dass seit der Fußballweltmeisterschaft 2006 viele Deutsche wieder ganz unverkrampft mit den Nationalsymbolen umgehen, und wir haben uns gedacht, das ist eigentlich ein guter Einstieg, mal zu schauen, womit schmücken sich die Deutschen auch bei besonderen Anlässen. Wir haben hier diesen wunderbaren schwarz-rot-goldenen Hut, man kann sich auch Wimpern in Schwarz-Rot-Gold ankleben, wir haben die Vuvuzela natürlich, und das sind Dinge, die heute auch wieder geläufig sind in unserer Öffentlichkeit."
Dem alten Hoffmann würde das gefallen, denn zu seiner Zeit, im sogenannten Vormärz, war die schwarz-rot-goldene Fahne ein Symbol für Einheit und Freiheit. In Deutschland herrschten damals Kleinstaaterei, Willkür und Unterdrückung. Doch der Dichter aus Fallersleben schrieb wacker dagegen an.
[O-Ton Gabriele Henkel:]
"Er hat als Agitator, als Kämpfer mit der Feder, schon Einfluss genommen. Auf seinen Reisen, in Gasthäusern oder bei anderen Versammlungen hatte er viele Zuhörer und hat seine Texte verbreitet, und viele sind auch begeistert aufgenommen worden, aber er wollte nicht Politiker werden, wollte nicht in die Paulskirche, er hat das abgelehnt, er hat sich als Kämpfer mit der Feder gesehen."
Und weil er wusste, dass mehr Menschen Lieder singen als Gedichte lesen, suchte er bekannte Melodien zu seinen Versen aus: Für sein "Lied der Deutschen" wählte er die Kaiserhymne von Joseph Haydn.
[O-Ton Gabriele Henkel:]
"Es ist natürlich schon kurios, wenn man sagt, das ist die Kaiserhymne, die dann bürgerliche Ideale vermitteln soll. Es war einfach eine Melodie, die schön war, die man gut behalten konnte, und das war eigentlich der Grund."
Den Text dazu verfasste er übrigens auf der damals noch britischen Insel Helgoland, während einer Erholungsreise, in der frischen Nordseeluft.
[O-Ton Gabriele Henkel:]
"Er hat eine Klippenwanderung gemacht, und das Lied ist ihm einfach in den Kopf gekommen. Er hat also wirklich ganz spontan gedichtet und dann dieses Gedicht dem Verleger Campe in Hamburg geschickt, und schon wenige Tage danach lag das Lied dann in dieser ganz einfachen Druckversion in den Schaufensterläden und war zum Verkauf fertiggestellt. Dieser Stein übrigens ist original von der Klippe in Helgoland, das ist also ein Stein, wo er dann damals wandelte und das 'Lied der Deutschen' verfasst hat."
Doch Hoffmann schrieb nicht nur politische Texte. Aufgewachsen im Zeitalter der Romantik, liebte er die Natur. Und seine Lieder, in denen er sie besungen hat, kann heute noch jedes Kind mitsingen:
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DEUTSCHLAND, DEUTSCHLAND ÜBER ALLES?
- Missverständnisse um Hoffmann von Fallersleben
Dass sein "Lied der Deutschen" zur Nationalhymne erklärt wurde, hat August Heinrich Hoffmann von Fallersleben nicht mehr erlebt. Erst 1922, 48 Jahre nach seinem Tod und 81 Jahre nachdem er sie geschrieben hatte, gab Reichspräsident Friedrich Ebert Hoffmanns Hymne die offizielle Weihe. Damals, in der Weimarer Republik, sang man noch alle drei Strophen – also auch die erste mit der Textzeile "Deutschland, Deutschland, über alles". Im Nationalsozialismus wurde sogar nur die erste Strophe gesungen. Nach dem 2. Weltkrieg gab es deshalb heftige Diskussionen, ob das "Lied der Deutschen" Nationalhymne bleiben kann. In der DDR wurde es durch die Becher-Hymne ersetzt. In der BRD machte sich Bundeskanzler Konrad Adenauer gegen viele Widerstände für die Hoffmann-Hymne stark und setzte sich am Ende durch. Allerdings wird seither nur noch die dritte Strophe "Einigkeit und Recht und Freiheit" gesungen. Der Rest ist in die Schmuddelecke verbannt worden, und auch der Dichter selbst geriet ins Kreuzfeuer der Kritik. Viele sahen in ihm einen üblen Nationalisten, einen Antisemiten und Kinderschreck. Mancher denkt noch heute so. Aber wie war Hoffmann wirklich? Wie war sein "Lied der Deutschen" gemeint? Im Gespräch mit Dr. Gabriele Henkel, der Ausstellungskuratorin des Hoffmann-von-Fallersleben-Museums, habe ich versucht offene Fragen rund um Hoffmann zu klären und dabei manches Missverständnis auszuräumen – angefangen bei seinem selbst gewählten Beinamen "von Fallersleben".
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HOFFMANN VON FALLERSLEBEN
- die wichtigsten Daten in seinem Leben
1798 Am 2. April wird August Heinrich Hoffmann in Fallersleben geboren.
1816 H. beginnt ein Studium der Theologie an der Uni Göttingen, wechselt dann zur Philologie.
1818 Jacob Grimm rät H. sich der deutschen Sprache und Literatur zu widmen.
1819 H. schreibt sich an der Uni Bonn ein und nimmt den Beinamen "von Fallersleben" an. Er reist erstmals in die Niederlande.
1823 H. wird "Ersatzkustos" an der Uni-Bibliothek in Breslau
1830 H. wird Außerordentlicher Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Uni Breslau.
1835 H. wird zum Ordentlichen Professor in Breslau ernannt.
1836 H. wird Erster Kustos der Uni-Bibliothek in Breslau.
1840 H. veröffentlicht den ersten Teil seiner sehr politischen "Unpolitischen Lieder" bei Hoffmann und Campe in Hamburg.
1841 Teil 2 der "Unpolitischen Lieder" wird veröffentlicht. Am 26. August schreibt H. auf Helgoland das "Lied der Deutschen".
1842 H. wird von seiner Professur in Breslau suspendiert und später entlassen.
1844 H. findet Aufnahme in Mecklenburg.
1849 Der 51-jährige H. heiratet seine 18-jährige Nichte Ida zum Berge in Braunschweig. Das Paar siedelt nach Bingerbrück am Rhein über.
1851 H. zieht um nach Neuwied.
1854 H. zieht nach Weimar. Zusammen mit Oskar Schade gibt er das "Weimarische Jahrbuch für deutsche Sprache, Literatur und Kunst" heraus.
1855 H.'s einziger Sohn Franz wird geboren.
1856 H. reist zum achten Mal in die Niederlande.
1860 H. verlässt Weimar und wird Bibliothekar im Schloss Corvey an der Weser. Seine Frau Ida stirbt.
1866 H. wird auswärtiges Mitglied der königlichen Akademie der Wissenschaften in Amsterdam.
1868 H.'s Autobiographie "Mein Leben" erscheint.
1874 Am 19. Januar stirbt August Heinrich Hoffmann von Fallersleben in Corvey. Er wird in der Stiftskirche beigesetzt.
(Quelle der Daten: "Hoffmann von Fallersleben – ein deutsches Dichterschicksal" von Jürgen Borchert)
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