Tasmanien (Australien)


UNDER DOWN UNDER
- mit dem Motorrad durch das kleine Paradies

Wenn Australien down under ­– tief unten – ist, dann ist Tasmanien under down under – noch weiter unten. Ein bisschen Stolz steckt in dieser Bezeichnung, aber auch ein wenig Selbstironie. Die Tasmanier ("Tassies") wissen, dass sie noch weiter abseits vom großen Weltgeschehen leben als ihre Landsleute auf dem Festland ("Aussies"). Aber das ist ihnen gerade recht. Ihre Insel vor der Südostküste des australischen Kontinents ist ein kleines Paradies. Nicht nur wegen der Ruhe und Abgeschiedenheit. Traumhafte Landschaften mit steilen Felsküsten, romantischen Buchten, Bergen, Seen und Flüssen. Dazu viel unberührte Natur mit einer ganz eigenen Flora und Fauna – das alles zeichnet Tasmanien aus und macht es zu einem Traumziel für Traumreisende. Auch und gerade für Motorradfahrer.

Reportage (Radio hr-iNFO, 21.04.2007):

[zum Anhören klicken: komplette Reportage]

[Geräusch: Schiffssirene]

Mit der Nachtfähre aus Melbourne kommen wir früh morgens im Hafen von Devonport an. Mit all den Wohnmobilen und Caravans rollen auch an die hundert Motorräder von Bord. Wir sind eine Gruppe von sieben Bikern, die gemeinsam Tasmanien umrunden wollen. Noch schnell gefrühstückt und dann geht's auf zur großen Rundfahrt durchs kleine Paradies. Schon die ersten Eindrücke sind durchweg positiv. Was erfahrene Australien-Urlauber berichtet haben, das scheint wirklich nicht übertrieben:

[O-Ton Touristin:]
"Es ist viel grüner und viel kühler und es hat wesentlich mehr Wasser. Und durch die Nähe zum Südpol ist der Himmel wirklich viel blauer. Die Tasmanier sprechen von 'Tasman blue'. Und das Wasser kann man aus jedem Fluss trinken, es ist ganz klar, und die Luft ist viel sauberer."

[O-Ton Tourist Norbert Weibeler:]
"Ansonsten hat's natürlich auch 'n bisschen was von Irland, England. Grad so auch die kleineren Dörfer mit diesen steingemauerten Brücken, also komplett kontratypisch gegenüber dem Festland, wo man alles mit Blech und billigsten Sachen macht, aber da ist Tasmanien ganz anders. Da wird sehr massiv gebaut, sehr viel Stein, und hat, wie gesagt, so 'n bisschen irischen, keltischen Eindruck hinterlässt das so."

Und das liegt nicht nur an der Bauweise. Die sanften Hügel, die saftig-grünen Weiden mit Kühen und Schafen, sie verstärken noch den Eindruck. Dazwischen Weinberge und Obstgärten. Vor allem Apfelplantagen. Sie haben Tasmanien den Beinamen "Apple Island" eingebracht. Denn im Gegensatz zum "echten" Garten Eden sind Äpfel hier keine verbotenen Früchte.

Apfelplantage
Hofladen
Im Apfelmuseum

[O-Ton Jeff Rivendell:]
"It's still a primary industry ...
Der Anbau von Äpfeln ist immer noch eine wichtige Branche, auch wenn wir in letzter Zeit ein paar Probleme hatten, sagt Jeff Rivendell vom Apfelmuseum in Huonville. Die meisten Äpfel gibt's hier im Huon Valley. Hier ist das Herz des Gewerbes, schon seit 1836.
... and has been since 1836, I believe."

[Geräusch: Biss in einen Apfel]

Ein bisschen wie im Paradies fühlen wir uns auch gleich bei der ersten Übernachtung auf dem Campingplatz von Kelso. Als die Dämmerung hereinbricht, kommen Scharen von Wombats und Possums aus dem Gebüsch gekrochen. Die kuscheligen Beuteltiere kennen hier keine Scheu vor den Menschen und wuseln ungeniert zwischen den Zelten und Wohnwagen herum. Über andere Campingplätze hoppeln jede Menge Zwergkängurus, die so genannten Wallabys. Auch darauf waren wir vorbereitet:

[O-Ton Touristin:]
"In Tasmanien findet man Wombats und Kängurus sofort. Man muss nicht wirklich lange suchen. Man geht irgendwo hin, wo die Einheimischen sagen, geh' mal kucken, und da laufen einem die Tiere wirklich mannigfaltig über den Weg."

Possum
Wallaby
Wombats

Im Paradies aber treibt bekanntlich auch der Teufel sein Unwesen. In Tasmanien ist er sogar zum Wahrzeichen geworden – der kleine Räuber, der es bis zum Trickfilmhelden in Hollywood gebracht hat. Nachtaktiv, wie er ist, bekommt man ihn allerdings nur selten zu sehen – eher schon zu hören.

[Geräusch: Brüllen eines Tasmanischen Teufels]

Sein furchterregendes Gebrüll hat ihm auch den Namen "Tasmanischer Teufel" eingebracht.

[O-Ton Bruce Englefield:]
"When the early settlers came here ...
Als die ersten Siedler hierher kamen, erzählt Bruce Englefield vom Privatzoo 'Nature World' bei Bicheno, stiegen sie aus ihren Booten und hatten nur Zelte, um darin zu schlafen. Nachts kamen die Teufel aus dem Busch und machten ein furchtbares Geräusch, ein schrilles Kreischen, da kriegten sie es mit der Angst. Und als dann noch ein paar von ihren Schafen verschwanden, dachten sie, das waren die Teufel. Und schon hatten sie ihren schlechten Ruf weg.
... just got that bad reputation."

Dabei ist der Tasmanische Teufel nicht viel größer als eine Katze und normalerweise für den Menschen völlig ungefährlich. Dennoch ein erstaunliches Wesen. Auf Beutesuche läuft er bis zu 50 Kilometer pro Nacht. Das Weibchen bringt bis zu 30 Junge zur Welt nach nur drei Wochen Tragezeit. Mit seinen vielen bemerkenswerten Qualitäten ist der Beutelteufel für Zoodirektor Englefield eine Art Champion unter den Tieren.

[O-Ton Bruce Englefield:]
"He's got jaws like a crocodile ...
Er hat Kiefer, so stark wie ein Krokodil, sein Gesicht ähnelt dem einer Katze, mit Schnurrhaaren, die Körperform erinnert ein bisschen an ein Schwein. Er hat Ohren und Augen wie ein Hund, ein Fell wie ein Waschbär oder ein Biber. Seine Hinterläufe sind so kräftig wie die eines Kängurus, und mit den Vorderfüßen greift er das Fleisch wie ein Eichhörnchen die Nüsse. Er kann auf Bäume klettern wie ein Possum, er kann besser schwimmen als jeder Hund. Er ist eine faszinierende kleine Kreatur.
... is an amazing little creature."

Tasmanischer Teufel im Zoo
Bruce Englefield mit Babyteufel
Schnabeltier in der "Platypus World"

Kaum weniger faszinierend und zumindest in dieser Größe ebenfalls nur in Tasmanien zu bewundern ist das Schnabeltier. Es wirkt wie eine seltsame Laune der Schöpfung, denn es hat einen Schnabel wie eine Ente, einen Pelz wie ein Otter, es legt Eier und säugt dennoch seine Jungen. In der Platypus World in einem kleinen Ort mit dem schönen Namen Beauty Point können wir es aus nächster Nähe beobachten. Und von Tierpflegerin Yolande Szekfy erfahren wir, dass es noch andere seltsame Eigenschaften hat.

[O-Ton Yolande Szekfy:]
"These platypus here spend their time ...
Diese Schnabeltiere hier verbringen ihre Zeit im Wasser, wo sie nach Nahrung suchen. Aber sobald sie untertauchen, schließen sie Augen, Ohren und Nase. Sie haben Rezeptoren, die über den ganzen Rücken verteilt sind. Wenn ihre Beute sich bewegt, sendet sie elektrische Impulse aus, die von den Rezeptoren im Rücken der Schnabeltiere empfangen werden. Auf diese Weise wissen sie, wo sie ihre Beute finden.
... they know how to find their food."

Sie ernähren sich hauptsächlich von Insektenlarven, kleinen Krebsen und Würmern. Und die finden sie in den Bächen und Flüssen Tasmaniens reichlich vor. Wasser gibt es hier im Überfluss, auch wenn der Klimawandel zuletzt für ungewöhnlich trockene Sommer gesorgt hat. Uns ist es recht, denn Motorradfahrer können auf Regen gern verzichten. Und doch erwischt es uns, als wir Port Arthur erreichen. Die ehemalige Sträflingskolonie aus dem 19. Jahrhundert in tristem Grau – das passt irgendwie. Denn die Gefangenen erlebten hier die Hölle mitten im Paradies.

[O-Ton Wendy Fowler:]
"They were treated very harshly ...
Sie wurden sehr grob behandelt, erzählt uns Museumsführerin Wendy Fowler, wenn sie sich nicht in das System einfügen wollten. Wenn sie sich an die Regeln hielten, hatten sie sogar die Möglichkeit, Lesen und Schreiben zu lernen oder ein Handwerk, das ihnen nach ihrer Haftentlassung nützen konnte. Aber wenn sie nicht gehorchten, wurden sie zunächst mit Auspeitschen bestraft und in der Endphase von Port Arthur mit Methoden wie Isolationshaft.
... things like solitary confinement."

Sträflingskolonie Port Arthur
Sogar Kinder saßen ein
"Meer voller Haie"

Port Arthur war die größte und härteste Sträflingskolonie in ganz Australien. Im Museum sind viele Schicksale von Gefangenen dokumentiert. Längst nicht alle waren Schwerverbrecher. Auch viele Kleinkriminelle saßen hier ein und sogar Kinder. Ein Beispiel:

"Name: Peter Brennan. Beruf: Knabe. Alter: 13 Jahre. Geboren in London, England. Verurteilt zu 7 Jahren Deportation wegen Diebstahls eines Taschentuchs."

Eine Flucht aus Port Arthur war praktisch unmöglich. Dafür garantierte schon die Lage.

[O-Ton Wendy Fowler:]
"The Tasman Peninsula is joined...
Die Tasman-Halbinsel ist mit dem Rest von Tasmanien nur über eine schmale Landenge verbunden. Sie ist gerade mal 90 Meter breit. Und dieser Streifen wurde von zehn großen Hunden bewacht und einer Garnison von Soldaten. Außerdem machte man den Sträflingen weis, dass das Meer rundherum voller menschenfressender Haie sei.
...surrounding water full of man eating sharks."

Wir jedenfalls suchen unser Heil in der Flucht. Vor der Depression und vor dem Regen. In nur drei Tagen durchqueren wir die gesamte Insel von der Ostküste bis zur Westküste. Schon am zweiten Tag sind die Regenwolken wie weggeblasen. Stattdessen Sonnenschein und herrliche Gebirgspässe, die jedes Bikerherz höher schlagen lassen. Sogar die kurvenverwöhnten Kollegen aus der Schweiz sind begeistert:

30 km nur Kurven
Landschaft im Herzen Tasmaniens
Strahan an der Westküste

[O-Töne Motorrad-Touristen:]
"Heute durften wir erleben auf einer großen Passfahrt, da waren kaum Leute, kaum Verkehr, kein Schmutz auf der Straße. Nur manchmal vielleicht die Not zu entscheiden, ob man die schöne Landschaft kurz einnehmen sollte oder sich besser auf die Straße konzentrieren, weil da kam schon die nächste Kurve."
"Es gibt doch nix Schöneres, als wenn du ein Schild siehst, das dich warnt, jetzt sind 30 Kilometer nur Kurven. Und es ist kein Verkehr und du kannst einfach Gas geben und traumhaftes Wetter und nur toll!"

Dabei ist die Westküste von Tasmanien normalerweise die feuchtere Seite. Hier findet man noch gigantische Regenwälder, die fast ein Viertel der gesamten Insel bedecken und teilweise völlig unzugänglich sind. Für manchen erfahrenen Australien-Reisenden die interssanteste Gegend überhaupt:

[O-Ton Tourist:]
"Das ist wie tauchen. Ich tauche auch, und man taucht in 'ne ganz andere Welt ab. Plötzlich ganz andere Tiergeräusche, ganz andere Tiere zu sehen, die hohen Farne und das Dickicht und plötzlich die brechenden Sonnenstrahlen, die da durchkommen und dieses Unberührte. Man fühlt sich fast so teilweise, als wenn man der erste wäre, der da durchgehen würde."

Kaum Menschen, kaum Straßen. Auf abenteuerlichen Schotterpisten steuern wir nordwärts, dem Fährhafen Devonport entgegen. Als wir dort ankommen, ist noch genügend Zeit, um das Tiagarra Aboriginal Culture Centre zu besuchen. Hier lernen wir ein weiteres tragisches Kapitel in der Geschichte Tasmaniens kennen. Die Ureinwohner wurden von den britischen Einwanderern systematisch ausgerottet. Dabei begann offenbar alles mit einem Missverständnis, als sich eine große Gruppe von Aboriginals zu einer Treibjagd auf Kängurus versammelt hatte.

Tiagarra Culture Centre
Ausgerottete Kultur der Aboriginals
Leuchtturm von Devonport

[O-Ton Sandra Schmidt:]
"The settlers, the soldiers and ...
Die Siedler, die Soldaten und die Sträflinge sahen, wie viele Aboriginals einen Abhang herunterkamen, und sie dachten, sie würden angreifen, berichtet Sandra Schmidt vom Culture Centre in Devonport. Unglücklicherweise stand der Befehlshaber der Soldaten auch noch unter Alkoholeinfluss. Er befahl den Soldaten zu feuern, und eine große Zahl von Aboriginals wurde getötet.
... of aboriginal people were killed."

Am Ende wurden die Eingeborenen selber Opfer von regelrechten Treibjagden. Die wenigen Überlebenden brachte man auf die kleine Nachbarinsel Flinders Island. Doch das Arche-Noah-Projekt schlug fehl. Bis 1876 starben auch die letzten tasmanischen Aboriginals an Krankheiten und Unterernährung. Diese Vertreibung aus dem Paradies macht betroffen. Und der Gedanke daran erleichtert uns ein klein wenig den Abschied. Denn auch wir müssen nach zwölftägiger Rundreise Tasmanien wieder verlassen. Die Fähre zurück nach Melbourne, sie wartet schon.

[Atmo: Schiffssirene]

 

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