Weinviertel 2
DA GEHT'S TIEF HINUNTER
- über das Keller-Labyrinth im Weinstädtchen Retz
Viele kennen das Weinstädtchen Retz aus dem Fernsehen. Es war Schauplatz der ARD-Serie "Julia – eine ungewöhnliche Frau" mit (Paul Hörbigers Nichte) Christiane Hörbiger in der Hauptrolle. Denn Retz ist ein wahres Schmuckstück im Weinviertel. Sein Hauptplatz mit dem imposanten Rathaus und den kaum weniger imposanten Bürgerhäusern gehört zu den schönsten Plätzen im ganzen Land. Sein wahrer Schatz aber liegt unter der Erde: ein insgesamt 25 km langes Labyrinth aus Kellern und Gängen, wo einst die Retzer Weinhändler ihren Rebensaft gelagert haben. Es ist der größte historische Weinkeller Österreichs. Die edlen Tropfen von dort wurden bis an den Zarenhof in St. Petersburg geliefert. Heute haben die Keller zwar ausgedient, dafür ist ein kleiner Teil des Labyrinths für die Öffentlichkeit zugänglich. Mehrmals täglich gibt es Führungen in den feucht-kühlen Abgründen der Weinproduktion von anno dunnemals, und da geht's tief hinunter.
Reportage (Radio hr4, 11.10.2014):
[Atmo: Treppensteigen]
Unzählige Stufen führen in die historischen Weinkeller von Retz. Bis zu 18 m unter der Erde liegen sie. Hier betragen die Temperaturen das ganze Jahr über konstant 10 bis 12 Grad. So mag es der Wein am liebsten. Früher reiften allein drei Millionen Liter in den Fässern der Familie Mössmer, erzählt Kellerführerin Johanna Wieser:
"Es gibt auch einen Spruch: In Retz gibt's mehr Wein als Wasser. Das war Tatsache! Eben drei Millionen nur in den Mössmer-Kellern, Brunnen in der ganzen Stadt vier, und Niederschlag haben wir normalerweise extrem wenig, 400 Millimeter nur. Bei uns ist es sehr heiß und sehr trocken, ein richtig pannonisches Klima. Und 1928 haben wir dann erst Wasserleitung bekommen, davor hat's wirklich mehr Wein in Retz gegeben."
Vorsichtig tasten wir uns durch das unterirdische Labyrinth. Die Kellerführerin geht mit der Taschenlampe voraus. Nur ab und zu fällt ein dünner Lichtstrahl durch die Decke nach unten.
[O-Ton Johanna Wieser:]
"Wir haben hier ein Dampfloch, das dient zur Belüftung der Keller. Wir haben ganz gute frische Luft im Keller, sie zirkuliert durch die Dampflöcher, und die Dampflöcher dienen auch zum Einfüllen des Weines. Man steckt einfach Schläuche durch und lässt so den Wein in den Keller fließen."
Heute stehen nur noch wenige Fässer in den Kellern – zu Demonstrationszwecken. Denn längst lagern die Retzer Winzer ihren Wein oberirdisch in modernen Tanks. Aber früher mussten sie die gewaltigen hölzernen Monstrümmer irgendwie hier herunterschaffen. Da fragen wir uns doch alle: Wie haben sie das gemacht?
[O-Ton Johanna Wieser:]
"Fässer hat der Fassbinder in seiner Werkstatt hergestellt, hat dann die einzelnen Fassdauben – so nennt man die gebogenen Holzteile – nummeriert, das Fass hat man dann zum Kellereingang transportiert, und dort hat man es wieder zerlegt. Die Teile wurden dann in den Keller getragen, auf große Steinblöcke – die nennt man Ganter – hat man das Fass dann wieder aufgebaut."
Vor einem der großen Fässer liegt eine Puppe im karierten Trachtenjäckchen, sichtlich besäuselt vom Retzer Wein.
[O-Ton Johanna Wieser:]
"Das ist unser Maskottchen, das ist der Retzi, wichtig deshalb, weil er typisch die Kleidung des Weinbauern trägt, den Kalmuck-Janker. Kalmuck, das kommt von den Kalmücken. Das war ein wildes mongolisches Reitervolk, die haben solche Materialien gewebt als Pferdedecken. Das Muster ist durch diese Webart entstanden, und erst später haben die Weinbauern Arbeitskleidung aus diesen Stoffen genäht, und wir Kellerführer tragen als quasi Zeichen auch diesen Arbeitsjanker, den Kalmuck-Janker."
So ein Janker ist auch ein beliebtes Souvenir. Ähnlich wie ein Flascherl Wein natürlich. Drum gibt’s zum Abschluss der Kellerführung eine kleine Verkostung im Vinarium des Hotels Althof. Aber bitte mit Bedacht, damit wir am Ende nicht genauso besäuselt sind wie der arme Retzi!
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TYPISCH WEINVIERTEL
- die malerischen Kellergassen
Das Keller-Labyrinth unter der Stadt Retz ist eine Ausnahme im Weinviertel. Es wurde im späten Mittelalter angelegt, weil Kaiser Friedrich III. den Bürgern ein Weinprivileg verliehen hatte. Die Winzer der Umgebung durften ihren Wein nicht selbst vermarkten, sondern mussten ihn zu den Händlern nach Retz bringen.
Weniger spektakulär, aber typischer für das Weinviertel, sind die Kellergassen, die es fast überall gibt – in manchem Dorf sogar mehrere. Oft sind sie mitten in den Weinbergen zu finden. Die Kellergassen bestehen aus Reihen von kleinen Steingebäuden, den sogenannten Presshäusern, wo die Trauben gekeltert wurden, und unterirdischen Kellern, wo der Wein reifte und lagerte. Auch die Presshäuser und Keller werden heutzutage kaum noch genutzt. Dafür werden die Kellergassen zunehmend zur Touristenattraktion. Nicht nur weil dort häufig Weinfeste stattfinden, sondern weil viele sich auf geradezu malerische Weise in die Kulturlandschaft des Weinviertels einfügen. Ob mit dem Auto, zu Fuß oder mit dem Fahrrad – ein Kellergassenbesuch ist fast immer einen kleinen Ausflug wert. Hier ein paar optische Eindrücke aus Kleinhadersdorf (rechts), Wartberg (unten links), Falkenstein (unten Mitte) und Wildendürnbach (unten rechts):
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