Thüringens Südwesten 1


TISCHREDEN
- auf Luthers Spuren in Schmalkalden

"Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz." – Diesen derben Spruch haben sicher viele schon mal gehört. Wenige aber wissen vermutlich, dass er von Martin Luther stammt, und noch weniger dürften wissen, dass er zu Luthers Schmalkaldischen Tischreden gehört. Im Februar 1537 hielt sich der Reformator in Schmalkalden auf und nahm an einem Kongress von protestantischen Theologen teil. Unglücklicherweise litt er an einem Nierenstein, fühlte sich krank und musste nach 20 Tagen vorzeitig wieder abreisen. Aber schon sein kurzer Aufenthalt mit zwei Predigten und diversen Tischreden hinterließ einen nachhaltigen Eindruck. Noch heute begegnet man Luther in der malerischen Fachwerkstadt auf Schritt und Tritt – ihm und vielen seiner Zeitgenossen.

Reportage (Radio SWR4 RP, 22.09.2019):

[zum Anhören klicken: Atmo: "Elisabeth v. Rochlitz" in der Ausstellung auf Schloss Wilhelmsburg]

"Euer Liebden, willkommen in Schmalkalden."

Eine virtuelle Elisabeth von Rochlitz begrüßt die Besucher in der Dauerausstellung zur Stadtgeschichte auf Schloss Wilhelmsburg. Sie war das einzige weibliche Mitglied des Schmalkaldischen Bundes. So wird die Vereinigung von protestantischen Reichsfürsten und Städten genannt, auf deren Einladung der Reformator nach Schmalkalden gekommen war. Weshalb, erklärt Stadtführerin Bertl Werner:

[zum Anhören klicken: O-Ton Bertl Werner]

"Luther sollte seine Grundsätze nochmal neu formulieren. Das hat er auch gemacht. Er hatte also mitgebracht seinen Entwurf für die Artikel des neuen Glaubens. Die sind dann hier diskutiert worden und gingen dann in die Geschichte ein als die Schmalkaldischen Artikel, und noch heute werden die evangelischen Pfarrer auf diese Artikel ordiniert, also das ist heute noch ein aktuelles Dokument."

Stadtführerin Bertl Werner
Stadtkirche St. Georg
Tisch im Lutherhaus

Ebenfalls heute noch gültig ist der Beschluss, dass evangelische Pfarrer heiraten dürfen – so wie auch Luther verheiratet war. Doch vor solchen Beschlüssen gab es oft langwierige Debatten und schier endlose Predigten. Von seinem geheizten Platz in der Kirche St. Georg aus hörte der kranke Luther aufmerksam zu, aber manchmal riss ihm auch der Geduldsfaden:

[O-Ton Bertl Werner:]
"Manche waren ihm eben zu schwülstig, zu ausführlich, und da soll er runtergerufen haben: 'Tritt er schnell auf, auf die Kanzel, tu's Maul auf, aber hör' bald wieder auf'."

Luther ist ja bekannt dafür, dass er kein Blatt vor den Mund nahm. Das gilt auch für die Tischreden, die er beim Abendessen hielt, vor hochrangigen Gästen wie seinem Co-Reformator Philipp Melanchthon oder dem Gründer des Schmalkaldischen Bundes, Landgraf Philipp von Hessen. Hier ein Beispiel:

"Ich habe heute bei Hofe wieder eine Predigt gegen das Saufen getan, aber es hatte keinen Zweck."

Oder auch dieser Spruch:

"Gott mit uns – der Teufel hole die anderen."

"Elisabeth v. Rochlitz"
Lutherhaus
Martin Luther als Wandgemälde

Luthers damalige Wohnung im heutigen Lutherhaus können Touristen als Ferienwohnung mieten. Einmal im Monat gibt es zudem ein Luther-Essen mit Tischreden. Zum Vier-Gänge-Menü inklusive Luthers Leibgericht Erbsbrei rezitiert ein Stadtführer die Sprüche des Reformators. So auch diesen:

"Wer im 20. Jahr nicht schön, im 30. Jahr nicht stark, im 40. Jahr nicht klug, im 50. Jahr nicht reich ist, der darf danach nicht hoffen."

Luther war eben auch ein kleiner Philosoph. Nur dieser in Schmalkalden beliebte Spruch stammt nicht von ihm:

[zum Anhören klicken: O-Ton Bertl Werner]

"Gott schütze uns vor Regen und vor Wind und vor Bratwürsten, die nicht aus Thüringen sind."

 

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(ZWERGEN-)AUFSTAND DER PROTESTANTEN
- vom Schmalkaldischen Bund zum Schmalkaldischen Krieg

Wer Luthers Auftritt in Schmalkalden verstehen will, kommt nicht umhin sich ein wenig mit der interessanten Geschichte des Städtchens zu befassen. Insbesondere mit dem Schmalkaldischen Bund, der 1531 auf Betreiben von Kursachsen und Hessen im Schmalkalder Rathaus gegründet wurde. Ihm gehörten 18 protestantische Reichsfürsten und 28 Städte an. Er bestand insgesamt 17 Jahre. Die Zahl der Mitglieder allerdings schwankte, denn sie mussten auch einen Beitrag zahlen, und dazu waren nicht alle dauerhaft willens bzw. in der Lage.
Das Bündnis richtete sich gegen den katholischen Kaiser Karl V. aus dem Hause Habsburg, der Luther und die Reformation verbissen bekämpfte. Die Mitglieder des Bundes gelobten sich deshalb gegenseitigen – notfalls auch militärischen Beistand – denn ihnen drohte im schlimmsten Fall die Reichsexekution und Anklage wegen Landfriedensbruchs durch das Reichskammergericht.
Der Schmalkaldische Bund war aber nicht nur ein politisches Bündnis, sondern auch ein religiöses. Deshalb wurden zahlreiche Tagungen von Theologen abgehalten. Allein sieben fanden in Schmalkalden statt. Als bedeutendste gilt die Tagung vom Februar 1537, vor allem wegen der Anwesenheit Martin Luthers. Aber auch sonst war sie hochkarätig besetzt: mit 16 Fürsten, sechs Grafen, den Vertretern von 29 Reichs- und Hansestädten, 42 evangelischen Theologen und dazu den Gesandten des Kaisers, des Papstes, des französischen und des dänischen Königs.

Die heute thüringische Stadt Schmalkalden gehörte damals zum Herrschaftsgebiet des Landgrafen Philipp von Hessen. Er hatte den Bund zusammen mit dem sächsischen Kurfürsten Johann (dem Beständigen) gegründet. Deshalb war er bei der Tagung 1537 anwesend und gern gesehener Gast in Luthers Wohnung. Schon drei Jahre früher hatte Landgraf Philipp einen prestigeträchtigen militärischen Erfolg gegen das von habsburgischen Truppen besetzte Württemberg errungen. In der Schlacht bei Lauffen besiegte das hessische Heer das österreichische. Der zuvor von den Habsburgern vertriebene württembergische Herzog Ulrich, der sich im Exil der Reformation zugewandt hatte, wurde wieder in sein Amt eingesetzt. Umgehend führte er in seinem Herzogtum die protestantische Konfession ein und schloss sich dem Schmalkaldischen Bund an.
Der geriet aber alsbald in eine Krise. Die Solidarität unter den Mitgliedern begann in den 1540er Jahren zu bröckeln. Grund waren auch theologische Auseinandersetzungen. Denn die einen fühlten sich den Lehren Martin Luthers verbunden, die anderen neigten eher den Lehren der Schweizer Reformatoren Ulrich Zwingli bzw. Johannes Calvin zu. Letztere, die sogenannten Reformierten, fühlten sich unter den Lutheranern zunehmend nur geduldet.
Noch 1539 sah es so aus, als würde sich Kaiser Karl V. auf einen Ausgleich zwischen Katholiken und Protestanten im Heiligen Römischen Reich einlassen. Er gab sich versöhnlich und unterzeichnete den sogenannten Frankfurter Anstand, in dem er den religiösen Status quo akzeptierte.

Doch nachdem er kriegerische Auseinandersetzungen mit Frankreich und den Osmanen siegreich beigelegt und damit den Rücken frei hatte, änderte der Kaiser seine Haltung gegenüber den Protestanten im Reich. Er schloss Bündnisse mit mehreren katholischen Fürsten sowie u.a. auch mit dem protestantischen Herzog Moritz von Sachsen, dem er das Kurfürstentum seines Vetters Johann Friedrich von Sachsen (dem Nachfolger Johanns des Beständigen) versprach, wenn er sich an einem Krieg gegen den Schmalkaldischen Bund beteiligte.
Im Juli 1546 verhängte Karl V. die Reichsacht über den sächsischen Kurfürsten und den hessischen Landgrafen. Dies führte zum Schmalkaldischen Krieg, der sich zunächst vor allem in Süddeutschland abspielte, ohne dass es zu einer entscheidenden Schlacht kam. Im Verlauf unterwarfen sich immer mehr protestantische Fürsten dem Kaiser oder liefen gar zu seinem Heer über. Entschieden wurde der Krieg schließlich Ende April 1547, als die kaiserlichen Truppen die kursächsischen bei Mühlberg in der Nähe von Torgau vernichtend schlugen; Johann Friedrich von Sachsen wurde gefangen genommen. Philipp von Hessen schließlich fiel vor dem Kaiser auf die Knie, bekam aber trotzdem eine lange Haftstrafe aufgebrummt.
Damit war auch der Schmalkaldische Bund faktisch aufgelöst. Rückblickend betrachtet, war er dennoch mehr als ein Zwergenaufstand, denn die Reformation selbst konnte nicht besiegt werden. Luthers Lehren waren in der Welt und verbreiteten sich weiter – bis zum heitigen Tag.


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KEIN BULLSHIT
- mit Pferdemist gegen Nierensteine

Auch ein Mann Gottes wie Martin Luther musste sich mit ganz weltlichen Problemen herumplagen. Wie bereits oben erwähnt, litt der Reformator unter einem Nierenstein, als er 1537 zum Kongress der evangelischen Theologen nach Schmalkalden reiste. Es war Februar, es war eiskalt, und sein Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends. Um trotzdem den Predigten seiner Kollegen in der Stadtkirche St. Georg folgen zu können, richtete man ihm in der Paramentenkammer im ersten Stock ein warmes Plätzchen mit Ofen ein. Meist blieb er jedoch in der Wohnung, die ihm zur Verfügung stand, und lud bedeutende Vertreter des Schmalkaldischen Bundes zu sich ein. Bei diesen Gelegenheiten hielt er dann auch seine Tischreden. Obwohl er versuchte seinen kranken Körper zu schonen, nahmen die Beschwerden weiter zu; er konnte nicht mehr Pipi machen, tagelang staute sich sein Harn, und er glaubte sterben zu müssen.
Keiner der Leibärzte der anwesenden Fürsten war imstande dem berühmten Manne zu helfen. Also rief man Dr. Georg Sturtz herbei, einen damals bekannten Mediziner aus Erfurt. Der verordnete warme Umschläge mit frischem Pferdemist (!). Als auch diese Therapie nicht die gewünschte Wirkung erzielte, ließen die Schmalkalder einen Steinschneider aus Waltershausen kommen. Der sollte den Nierenstein herausschneiden. Doch – man ahnt es schon – Luther verweigerte sich der Prozedur. Am Ende blieb Dr. Sturtz nichts anderes übrig, als den Patienten samt Wärmflasche auf einen Wagen zu laden, um ihn nach Hause zu bringen. Schließlich wollte der Reformator nicht unter den Augen seines Feindes, des päpstlichen Abgesandten, vor seinen Schöpfer treten.
Nach der holprigen Fahrt über den Thüringer Wald geschah dann ein "Wunder". In dem Ort Tambach-Dietharz bei Gotha trank Luther aus einem Brunnen und spürte plötzlich keine Schmerzen mehr. Er konnte sich auch endlich wieder erleichtern. Vermutlich lag dies aber nicht an dem Tambacher Wasser. Heute gehen Ärzte davon aus, dass sich der Nierenstein durch das Geruckel des Wagens gelöst hatte und ganz von alleine abgegangen war. Trotzdem wurde der Brunnen schon zum 200-jährigen Reformationsjubiläum 1717 offiziell in "Lutherbrunnen" umbenannt. Der Reformator selbst lebte nach der "Wunderheilung" von Tambach noch weitere neun Jahre und erlag dann keinem Nierenleiden, sondern den Folgen eines Schlaganfalls.
Nachzutragen an dieser Stelle wäre vielleicht noch, dass Martin Luther seinem kurzen Aufenthalt in Schmalkalden trotz Krankheit zumindest einen positiven Aspekt abgewinnen konnte: In einem Brief an seine Frau Katharina lobte er ausdrücklich den "Erbsbrei mit Brathering", den er von seiner Zimmerwirtin serviert bekam. Aber gut geschlafen hat er wohl nicht, denn er schrieb auch: "Man hüte sich vor den hessischen Betten."

 

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Hier geht's weiter zur Kanutour auf der Werra und der Reportage Thüringens Südwesten 2.