Rumänien 4


DAS KULTURERBE DER SACHSEN
- Führung durch das Zentrum von Hermannstadt

Der hierzulande wohl bekannteste Siebenbürger Sachse ist Peter Maffay. Als Kind wanderte er mit seinen Eltern nach Deutschland aus. Von den ehemals rund 300.000 Sachsen sind nur etwa 20.000 in Rumänien geblieben. Ihre Vorfahren wurden im 12. Jahrhundert vom ungarischen König angeworben, um das Land im Karpatenbogen zu kultivieren. Die Siedler, die mehrheitlich gar nicht aus Sachsen kamen, sondern aus dem moselfränkischen Raum, gründeten Städte und Dörfer, bauten Burgen und Kirchen, drückten der Region bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts ihren kulturellen Stempel auf. Erst in der Folge des Zweiten Weltkriegs wurden die Siebenbürger Sachsen systematisch verschleppt, vertrieben, an den (west-)deutschen Staat verkauft. Der überwiegende Rest verließ Rumänien nach dem Sturz des kommunistischen Regimes 1989.
Die wenigen Verbliebenen jedoch erfahren in jüngster Zeit zunehmende Wertschätzung. So führt die Stadt Sibiu neben dem rumänischen auch wieder ganz offiziell ihren deutschen Namen Hermannstadt. Das Kulturerbe der Siebenbürger Sachsen wird mit Hingabe gepflegt. Und so gibt es natürlich auch Stadtführungen in deutscher Sprache.

Reportage (Radio hr4, 27.09.2014; SWR4 RP, 25.07.2021:)

[zum Anhören klicken: Atmo-Ton Stadtführer Mihai Haşegan]

"Erstmal herzlich willkommen in Hermannstadt. Mein Name ist Mihai Haşegan." – "Wie bitte?" – "Mihai Haşegan." – "Michael." – "Michael auf Deutsch, genau."

Nein, unser junger Stadtführer ist zur Überraschung vieler Teilnehmer kein Siebenbürger Sachse, sondern ein Rumäne, der das deutschsprachige Gymnasium besucht hat, eine der ältesten Schulen in Siebenbürgen. Sie wurde 1380 gegründet, liegt gleich gegenüber der evangelischen Kirche und gilt heute als Elitegymnasium.

[O-Ton Mihai Haşegan:]
"Es ist wie gesagt eine Schule in deutscher Sprache, in der Sprache der deutschen Minderheit, eine Schule mit sehr viel Tradition, die Schüler sind zu 99 Prozent Rumänen, die dann die deutsche Sprache als Muttersprache lernen, man organisiert jedes Jahr noch das jährliche Fasching, man hat ein Jahrbuch, man hat viele Traditionen, die man dann weiterführt in der Zukunft."

Stadtführer Mihai Haşegan
Samuel-von-Brukenthal-Gymnasium
Barock-Ensemble am Großen Ring

Damit die Eliteschüler nach dem Abitur nicht ins Ausland abwandern, versucht die Stadt ihnen eine Perspektive zu bieten. Vor allem durch die Förderung des Tourismus. So ist der historische Kern um den Großen und Kleinen Ring aufwändig saniert worden: das Rathaus, die katholische Pfarrkirche und der Brukenthal-Palast erstrahlen wieder in barockem Glanz. Auch an Hotels und Restaurants herrscht kein Mangel mehr.

[O-Ton Mihai Haşegan:]
"Vor zehn Jahren konnten Sie auf diesem Ring nicht so einen Cappuccino trinken, also heute hat man Caféhäuser, die auch Geld in die Stadt bringen. Das ist das alte Konzept von Cäsar, Brot und Spiele für die Leute, nur ein bisschen umgewandelt. Man versucht durch Spiele Brot für die Leute zu schaffen."

Zum Thema Spiele passt auch das internationale Theaterfestival im Frühsommer. Es lockt Tausende von Besuchern an und unterstreicht die kulturellen Ambitionen der Stadtväter.

[zum Anhören klicken: O-Ton Mihai Haşegan]

"2007 wurde Hermannstadt Kulturhauptstadt Europas, und das war dann so ein wichtiges Ereignis unserer Stadt. Wir haben unseren Bürgermeister, der ist jetzt vorbeigegangen, der Herr Klaus Johannis, er überquert jetzt den Platz, und ja, er hat sehr viel mitgemacht in dieser Kulturhauptstadt, der Motor der Entwicklung würd' ich sagen."

Zunftturm an der Stadtmauer
Ev. Stadtkirche
Ratsturm

Und dieser deutschstämmige "Motor" weiß seine Hermannstädter hinter sich, auch die rumänische Mehrheit. Dass er und sein Stadtrat das sächsische Erbe so stark betonen, stört kaum jemanden – und die zahlenden Gäste aus Deutschland sowieso nicht:

[O-Töne Touristen:]
"Mir gefällt es einfach, dieses Ensemble, wie das wiederaufgebaut ist, mir gefällt es einfach. Und es ist ja doch auch ein Stück deutsche Kultur, die da noch festgehalten wird irgendwie."
"Viele alte Bausubstanz, freundliche Aufnahme, die Leute sind liberal in unserem Sinne, also man kann sich hier wohlfühlen."
"Es gibt hübsche kleine Restaurants, und ja, eine alte Stadt, die man gerne besucht."

 

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VOM STADTOBERHAUPT ZUM STAATSOBERHAUPT
- die erstaunliche Karriere des Klaus Johannis

Einer nationalen Minderheit anzugehören, bedeutet nicht zwangsläufig im politischen und gesellschaftlichen Abseits zu stehen. Bestes Beispiel dafür ist der Deutschstämmige Klaus Johannis, bei meinem Besuch im Juni 2014 noch Bürgermeister von Hermannstadt/Sibiu, seit November 2014 Präsident von Rumänien. Der Siebenbürger Sachse schaffte, was kaum einer für möglich gehalten hatte, und gewann die Stichwahl gegen den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Victor Ponta, der im ersten Wahlgang noch einen deutlichen Vorsprung gehabt hatte.
Johannis wurde am 13. Juni 1959 in Hermannstadt geboren. Sein Vater Gustav Heinz war Techniker, seine Mutter Susanne Krankenschwester. Angeblich waren die deutschen Vorfahren der Familie vor 850 Jahren nach Siebenbürgen eingewandert. Der junge Klaus studierte Physik und unterrichtete anschließend an verschiedenen Schulen in Hermannstadt, u.a. am Samuel-von-Brukenthal-Gymnasium. Nach der rumänischen Revolution 1989 wanderten seine Eltern und seine Schwester nach Deutschland aus, er selbst blieb und trat in das neugegründete "Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien" ein, die politische Vertretung der deutschen Minderheit.
Im Jahr 2000 stellte ihn seine Partei als Bürgermeisterkandidaten auf, und obwohl die deutsche Minderheit in Hermannstadt nur noch zwei Prozent (!) der Bevölkerung ausmachte, wurde er mit 69 Prozent (!) der Stimmen gewählt. Bei seiner Wiederwahl vier Jahre später erhielt er sogar fast 89 Prozent (!). Im Stadtrat arbeitete Johannis mit den Sozialdemokraten zusammen. Er sorgte für wirtschaftlichen Aufschwung, indem er Kontakte zu Investoren aus dem deutschsprachigen Raum knüpfte, und erreichte, dass Hermannstadt 2007 Kulturhauptstadt Europas wurde.
Der Erfolg, den Klaus Johannis in seiner Heimatstadt hatte, führte schließlich dazu, dass ihn das Parteienbündnis Christlich-liberale Allianz als Kandidaten für die rumänische Präsidentschaftswahl 2014 nominierte. Der Wahlkampf glich einer Schlammschlacht: Seine Gegner warfen ihm vor, er habe auf betrügerische Weise Immobilien erworben und öffentliche Gelder veruntreut. Es hieß sogar, er habe Kinder an ausländische Organhändler verkauft. Am Ende überzeugte er dennoch die rumänische Wählerschaft.
Als Präsident kämpfte Johannis vor allem gegen die Korruption in seinem Land und legte sich dabei mehrfach mit der Regierung von Ministerpräsident Grindeanu an. Sie wollte 2017 das Antikorruptionsgesetz ändern und eine Amnestie für kleinere Verstöße durchsetzen (wohl um einen Parteigenossen vor Strafverfolgung zu schützen). Johannis schloss sich sogar öffentlichkeitswirksam einem Protestmarsch gegen die Pläne der Regierung an.
Im November 2019 trat der ehemalige Bürgermeister von Hermannstadt erneut bei der Präsidentschaftswahl an und war erneut erfolgreich. Diesmal setzte er sich in einer Stichwahl gegen die Sozialdemokratin Viorica Dăncilă durch.

[Quelle: Wikipedia]

Bürgermeister K. Johannis (Juni 2014) in Hermannstadt/Sibiu

 

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