Opalküste 1
AUF DEM RÜCKEN DES DRACHEN
- ein feuriger Strandspaziergang in Calais
Calais ist die wohl bekannteste Stadt an der Opalküste. Denn dort, an der schmalsten Stelle des Ärmelkanals, kommen die Fähren aus England an. Lange Zeit war Calais deshalb ein beliebtes Reise- und Ausflugsziel für Briten. Doch seit dem Brexit und der damit verbundenen Visumpflicht sind die Gäste von der Insel rar geworden. Um den Tourismus wieder anzukurbeln, hatte der Bürgermeister eine ungewöhnliche Idee: Er beauftragte den Aktionskünstler François Delarozière, der schon den "Elefanten von Nantes" und den "Minotaurus von Toulouse" erschaffen hatte, mit dem Bau eines gigantischen mechanischen Drachen. Das Ergebnis war ein 25 m langes und 12 m hohes Ungetüm aus Stahl und Holz, das Feuer speiend und Rauch ausstoßend die Uferpromenade entlang marschiert und dabei bis zu 48 Passagiere befördert. Ein ganz spezieller Strandspaziergang also, der binnen kurzer Zeit zu der großen Attraktion geworden ist, die sich die Stadt Calais gewünscht hatte.
Reportage (Radio SWR4 RP, 19.06.2022):
Er grunzt, er zischt, er quietscht. Alles was Drachen eben so machen. Dann setzt er sich langsam in Bewegung, und los geht der wilde Ritt. Wir Touristen stehen auf einer Plattform, die das Ungetüm auf seinem Rücken trägt. Mit dabei ist Stéphane Ribeiro von der Betreibergesellschaft des Drachen:
[O-Ton Stéphane Ribeiro:]
"Le dragon se déplace …
Der Drache wandert am Ufer entlang, sagt Stéphane, etwa anderthalb Kilometer weit und dann denselben Weg zurück. Der ganze Trip dauert fünf Stunden. Aber wir wechseln jede Stunde und nehmen neue Leute an Bord, damit jeder Gelegenheit hat immer wieder einen anderen Teil der neu renovierten Promenade von Calais zu sehen.
… de Calais complètement renovée."
Zu Beginn blicken wir auf die Hafenanlagen, ein Fährschiff aus Irland, das gerade einläuft. Später dann die nagelneuen Sport- und Freizeitanlagen am Strand mit dem schönen Namen "Calaisfornia". Spannender aber noch ist es den Drachen selbst zu beobachten, wie er Feuer speit, wie er alle Körperteile bewegt, sogar die Augenlider. Das Wunderwerk der Technik wirkt fast lebendig. Und das kommt nicht von ungefähr:
"Le dragon pèse 72 tonnes …
Der Drache wiegt 72 Tonnen. Er ist sehr, sehr schwer. Wir benötigen fünf Personen an Bord, um seine Bewegungen zu steuern. Der erste lenkt ihn auf seinem Weg. Ein zweiter bewegt Kopf und Hals, ein dritter Schwanz und Flügel, ein weiterer steuert die Mimik und erzeugt die Spezialeffekte. Die fünfte Person erklärt den Leuten alles Wissenswerte über unseren Drachen.
… qui veut raconter son histoire."
Man kommt sich ein wenig vor wie in einem Fantasy-Film oder in einem utopischen Roman von Jules Verne. Die anderen Menschen am Strand und auf der Uferpromenade sind ebenso fasziniert, winken, zücken ihre Kameras. Viel zu schnell ist die Stunde um, und der Ritt auf dem Drachen neigt sich dem Ende zu:
[O-Ton Touristin:]
"War sehr schön. Nur nicht so wild, es wackelt gar nicht so sehr, wie man's erwartet. Es ist doch sehr ruhig, etwa so, wie wenn man auf'm Boot ist."
Unser Drache hat übrigens schon einen – wenn auch deutlich kleineren – Gefährten bekommen: einen vier Meter langen Leguan, den Besucher per Fernsteuerung selbst über die Uferpromenade spazieren lassen können. Und weitere Echsen sollen folgen.
[Atmo: Fauchen]
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