DIE HEILIGE KUH
- angewandter Religionskurs in Jerusalem

Jerusalem ist die wohl meistumkämpfte Stadt der Weltgeschichte. Und meist hat die Religion dabei eine Rolle gespielt. Der deutsch-israelische Buchautor Gil Yaron schreibt, allein in den letzten 2000 Jahren seien 34 Eroberer in die Stadt eingezogen, 22 mal sei sie belagert, 18 mal wieder aufgebaut worden, und 11 mal habe der Glaube gewechselt. Heute ist Jerusalem  sozusagen multi-religiös: Judentum, Islam und eine Vielzahl von christlichen Konfessionen sind in der Stadt vertreten, d.h. vor allem im arabischen Ostteil, der Jerusalemer Altstadt. Alle betrachten sie als eine Art Heilige Kuh, und jeder möchte sie am liebsten für seine Zwecke ausschlachten. Seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 wird Ost-Jerusalem von Israel kontrolliert. Der momentane Status hat zumindest zur Folge, dass alle relativ ungehindert ihre Religion ausüben können – Juden, Muslime und Christen. Ein Besuch der Altstadt von Jerusalem ist zweifellos der Höhepunkt jeder Israel-Reise und wird unweigerlich zum praktisch angewandten Religionskurs.

Reportage (Radio hr4, 06.09.2008; MAZ, 03.04.2010):

[zum Anhören klicken: komplette Reportage]

[Atmo: Glocken der Erlöserkirche]

Es ist Sonntagmorgen. Die Glocken der evangelisch-lutherischen Erlöserkirche rufen zum Gottesdienst. Er wird in mehreren Sprachen gefeiert, darunter auch auf Deutsch.

[Atmo: Kirchenlied]

Christen aus aller Welt nehmen die Gelegenheit wahr, den Gottesdienst zu besuchen – hier, auf dem Berg Golgatha, wo Jesus (nach der Bibel) am Kreuz gestorben und wiederauferstanden ist. Für viele ein ganz besonderes Erlebnis.

[O-Töne Touristinnen:]
"Ich bin sehr berührt. Das kommt von Herzen, man sich fühlt sich ganz nah von Jesus."
"Sehr beeindruckend, und es geht einem ans Herz."

Die Erlöserkirche liegt nur wenige Meter von der Grabeskirche entfernt – dem Allerheiligsten für sechs andere christliche Konfessionen. Sie wurde an der Stelle erbaut, wo sich angeblich das Grab Jesu befand. Von der katholischen, über die griechisch-orthodoxe bis hin zur äthiopischen Kirche wird sie gemeinsam genutzt. Und das funktioniert nicht immer reibungslos, sagt unser Reiseleiter Ralph Lewinson.

Glockenturm der Erlöserkirche
Gläubige in der Grabeskirche
Priester-Disput in der Grabeskirche

[O-Ton Ralph Lewinson:]
"Jeder hat seine bestimmten Zeiten, wann er beten darf, wann er singen darf, wer die Tür aufmacht, wer sie zumacht, wer fegen darf. Und hier gibt es ab und zu Prügeleien. Es gab schon zweimal Mord in der Kirche, unter Priestern, über Rechte, wer was machen darf. Und hier ist öfters die Polizei, um das zu kontrollieren, weil es fast jede Woche etwas gibt, Ärger zwischen der einen Gruppe und der anderen."

Wenn sich schon die Christen untereinander nicht einigen können, dann wundert es nicht, dass auch Juden und Muslime im Streit liegen. Stein des Anstoßes – oder besser: Fels des Anstoßes – ist der Tempelberg. Hier, wo der Tempel Salomos stand, steht heute der Felsendom mit seiner goldenen Kuppel und den kunstvollen Mosaiken, die bei Touristen immer wieder Begeisterung auslösen.

[O-Töne Touristinnen:]
"Der Felsendom ist einfach einmalig, die Mosaiken blau, türkis, golden – und dann mit den ganzen Inschriften, arabischen Inschriften, orientalischen Inschriften, einfach toll!"
"Die sind wahnsinnig bunt, farbig, und das ist 'ne ganz diffizile, feine Arbeit. Und immer diese strahlende Kuppel – einfach sehr beeindruckend." 

Der Dom wurde über einem Felsen errichtet, der für die Juden das Allerheiligste ist. Sie glauben, aus diesem Felsen habe Gott die Welt erschaffen, hier sei Adam begraben, und hier habe Abraham seinen Sohn Isaak opfern wollen. Das Problem ist nur, der Felsendom ist eine islamische Moschee, denn auch den Muslimen ist der Felsen heilig.

Felsendom*)
Blick auf den muslimischen Tempelberg
Betende an der Klagemauer

[O-Ton Ralph Lewinson:]
"Wir sprechen von einem wirklich großen Felsen. Der ist im Radius 15 Meter oder so was. Das ist ein Riesenfelsen, und da sind so Löcher drin, und nach dem islamischen Glauben sind das die Fußabdrücke von dem Pferd von Mohammed, als er in den Himmel gestiegen ist."

Die Juden dürfen den Tempelberg nach ihren eigenen Gesetzen nicht betreten. Ihnen bleibt nur die Klagemauer an seiner Westfront.

[O-Ton Ralph Lewinson:]
"Das Allerheiligste ist, auf dem Tempelberg zu beten an bestimmten Feiertagen, und weil es den Tempel nicht mehr gibt, geht man an die Klagemauer, weil das die nächste Stelle ist zu dem Allerheiligsten. Und das betrachtet man auch in der jüdischen Welt als die Ohren vom lieben Gott. Also, wenn man hier betet und sich bei Gott bedankt, wird der liebe Gott dieses Gebet hören."

Und so beten die ultra-orthodoxen Juden mehrmals täglich, dass Jerusalem ihnen eines Tages wieder ganz gehört. Aber bis dahin müssen sich die verschiedenen Religionen die heilige Stadt teilen. Und vielleicht ist es das ja, was der liebe Gott will.

 

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Hinweis:

*) Foto mit freundlicher Genehmigung von Roland Hinüber

 

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Video:
Immer an der Wand lang – ultra-orthodoxe Juden beten an der Klagemauer in Jerusalem

 

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Hier geht's weiter nach Yad Vashem und zur Reportage Israel 4.