DIE NAMEN DER OPFER
- beklemmendes Gedenken in Yad Vashem

Wer als Deutscher nach Israel reist, kommt um böse Erinnerungen an die Massenvernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten nicht herum. Viele ältere Israelis sind selbst Überlebende der Konzentrationslager oder haben zumindest enge Verwandte und Freunde durch den Holocaust verloren. Immer wieder wird man als Deutscher darauf angesprochen – zwar freundlich meist, aber ein stiller Vorwurf schwingt häufig mit. Das schlimmste Verbrechen, das jemals Menschen an Menschen begangen haben, steht wie eine unsichtbare Wand zwischen Israelis und Deutschen. Es kann kein Vergessen geben, darin sind sich heute beide Seiten einig. Und darum ist ein Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem für Israel-Reisende geradezu ein Muss. Sie liegt am Rande von Jerusalem und wurde schon 1953 gegründet. Yad Vashem bedeutet "Denkmal und Name", denn hier bleiben die Opfer nicht anonym.

Reportage (Radio hr4, 06.09.2008):

[zum Anhören klicken: komplette Reportage]

[Atmo-Ton Touristin:]
"Das ist das Schwerste, sich verschenken und wissen, dass man überflüssig ist, sich ganz zu geben und zu denken, dass man wie Rauch ins Nichts verfließt."

Mit dem Gedicht der ermordeten Jüdin Selma Meerbaum-Eisinger beendet unsere Reisegruppe die kleine Gedenkzeremonie im "Tal der Gemeinden". In Stein graviert sind hier die Namen aller jüdischen Gemeinden Europas, die während des Holocaust ausgelöscht wurden. Darunter auch viele hessische Orte – von Korbach bis Beerfelden, von Limburg bis Herleshausen. In Yad Vashem sind Namen wichtiger als Zahlen.

[Atmo: Denkmal für die Kinder]

In einem abgedunkelten Raum werden die Namen von ermordeten Kindern vorgelesen. Zum Konzept von Yad Vashem gehört es, dass die Opfer als Individuen wahrgenommen werden.

[O-Ton Susan Cain:]
"It was David, it was Peter ...
Es war David, es war Peter, es war Sarah. Es waren Leute mit einer eigenen Geschichte, mit Hoffnungen, mit Träumen; Leute, die Kinder und Eltern hatten, die sich in Deutschland zu Hause fühlten, in der Sprache, in der Kultur. Es waren religiöse Juden, getaufte Juden, assimilierte Juden. Es war keine homogene Gruppe, es waren einfach Menschen.
... it were human beings."

Susan Cain, die uns durch das Holocaust-Museum führt, zeigt immer wieder auf unscheinbare Gegenstände, die viel zu erzählen haben.

[O-Ton Susan Cain:]
"For example the opening exhibit …
Eines der ersten Ausstellungsstücke ist eine Taschenuhr. Sie wurde einem Kind übergeben, das sich im Gebüsch eines Arbeitslagers in Litauen versteckt hatte, als die Rote Armee näher rückte und die Deutschen alle verbliebenen Juden erschossen. Ein Onkel entdeckte den Jungen und übergab ihm heimlich seine Uhr. Er sagte: Ich werde sie nicht länger brauchen, aber du hast die Chance zu überleben. Ich will, dass du sie behältst, dass du an mich denkst und meine Geschichte erzählst.
… remember me and tell my story."

Halle der Namen**)
Monument der Vernichtung
Oskar Schindler**)

Solche Augenzeugen kommen im Museum reichlich zu Wort. Per Video berichten sie von der Deportation, von den Konzentrationslagern, von der Befreiung. Auch der Frankfurter Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki. Mit am bewegendsten ist seine Geschichte eines Freundes, der seine Geige mitnahm, weil er bis zuletzt an das Gute glauben wollte.

[Atmo-Ton Marcel Reich-Ranicki:]
"Die Deutschen sind doch so musikalisch. Ich werde ihnen das Bachsche E-Dur-Konzert vorspielen. Vielleicht lassen sie mich dann am Leben."

Sein Freund wurde trotzdem ermordet – wie sechs Millionen weitere Juden. Unvorstellbare Grausamkeit, unvorstellbares Leid verbirgt sich hinter dieser Zahl. Yad Vashem gelingt es, das Unvorstellbare wenigstens ein bisschen vorstellbar zu machen.

[O-Ton Touristin:]
"Was ich sehr gut finde in dieser Ausstellung, ist, dass man wirklich diese persönlichen Einzelschicksale nachvollziehen kann und dass man so manchmal einen direkten Zugang hat zu den historischen Prozessen, und vielleicht kommt daher dann auch diese Betroffenheit und diese Unfähigkeit, auch ein bisschen Abstand zu bekommen, ein bisschen Distanz zu halten."

Yad Vashem klagt an, es reicht aber auch die Hand zur Versöhnung. Nicht unerwähnt bleibt, dass die Deutschen willfährige Helfer auch in anderen europäischen Nationen hatten. Nicht unerwähnt bleibt ebenso, dass es Menschen wie Oskar Schindler gab, die unter Einsatz des eigenen Lebens jüdisches Leben retteten. Die unsichtbare Wand zwischen Deutschen und Juden scheint dünner zu werden.

[O-Ton Tourist:]
"Was mich bewegt, ist, dass es heute möglich ist, über 60 Jahre später, mit diesen Menschen zu sprechen, auch Fragen zu stellen. Das ist das Positive, was ich von hier mitnehme."

 

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Hinweis:

*) Foto: Roland Hinüber
**) Foto: Yad Vashem

 

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Hier geht's zum Thema Sicherheit und der Reportage Israel 5.