Hunsrück 2

SIE NANNTEN IHN SCHINDERHANNES
- ein Räuber zwischen Mythos und Wahrheit

"Ich habe den Tod verdient, aber mindestens zehn von diesen sind unschuldig." – Mit der Bitte um Gnade für seine Spießgesellen verabschiedete sich der Räuberhauptmann Johannes Bückler von der Welt, dann sauste das Fallbeil nieder. Am 21. November 1803 wurde der Schinderhannes in Mainz öffentlich enthauptet. Zwanzigtausend Menschen wohnten dem makabren Schauspiel bei. Schon damals war er ein Volksheld, unmittelbar nach seiner Hinrichtung begann die Legendenbildung. Dichter verklärten ihn zum romantischen Abenteurer, zum kühnen Rebellen gegen die französische Besatzungsmacht – eine Art deutscher Robin Hood, der den Reichen nahm und den Armen gab. In jüngerer Zeit mitgeprägt hat dieses Image der Kinoklassiker aus den 1950er Jahren mit Curd Jürgens und Maria Schell in den Hauptrollen. Die Hunsrück-Stadt Simmern widmet dem populären Räuberhauptmann seit 2007 sogar seine eigenen Festspiele. Und im ehemaligen Pulverturm, wo er 1799 fast ein halbes Jahr eingekerkert war, richtete sie ihm sein eigenes kleines Museum ein. Im heutigen "Schinderhannesturm" erfährt man allerdings auch, dass der Mythos vom "edlen Räuber" mit der historischen Wahrheit wenig zu tun hat.

Reportage (Radio hr4, 09.08.2008; rbb-INFOradio, 30.08.2008):

[zum Anhören klicken: komplette Reportage]

[Atmo: Bänkelsänger bei den Schinderhannes-Festspielen]

"Aus diesem Turm gibt’s kein Zurück,
Man sagt, nur Unschuld oder Glück
Können hier zur Rettung dienen
vor langer Haft und Guillotinen."

Was der Lautenspieler bei den Festspielen besingt, war ein fensterloses Loch, umgeben von meterdicken Mauern. Das sicherste Gefängnis weit und breit, und doch gelang dem Schinderhannes die Flucht. Wie er das angestellt hat, ist bis heute ungeklärt. Irgendwie kletterte er aus seinem Verlies in die Wachstube darüber, brach in einem Nebenraum das Fenstergitter heraus, sprang hinunter in den Stadtgraben und verschwand spurlos im Wald. Es muss ihm jemand geholfen haben, meint Dr. Fritz Schellack, der Museumsdirektor. Und er hat einen ganz bestimmten Verdacht.

[O-Ton Dr. Fritz Schellack:]
"Der Hannes galt ja auch als ganz netter Mann, und er hat ja auch verschiedene Freundinnen in seinem Räuberleben gehabt. Und vielleicht hat die Frau des Turmwärters da auch die schönen Augen vom Hannes gesehen, und der Turmwärter hat das ja auch ein bisschen mitbeobachtet."

Fluchthilfe aus romantischen Motiven also? Einen Beweis dafür gibt es nicht, aber möglich wäre es, dass die Frau des Wärters seinem Räuber-Charme verfiel. Denn der Gefangene durfte täglich für ein paar Stunden sein Verlies verlassen, um in der Wachstube frische Luft zu schnappen. Obwohl er zuvor schon aus drei Gefängnissen ausgebrochen war, wurde der Schinderhannes auch in Simmern offenbar unterschätzt.

[Atmo-Ton Lautenspieler:]
"Der Hannes, ja, das war ein Schlauer,
Stahl beim Juden und beim Bauer.
Auch die Kaufleut’ unverhohlen
Hat er oft und dreist bestohlen."

Zwar war der Sohn eines Abdeckers – oder "Schinders" – noch keine 20 Jahre alt, als er im Simmerner Pulverturm einsaß, aber er hatte schon so einiges auf dem Kerbholz. Für Dr. Fritz Schellack war der Schinderhannes alles andere als ein "edler" Räuber, sondern ein skrupelloser Verbrecher.

Fritz Schellack neben Schinderhannes
Schinderhannes-Turm in Simmern
Räuber entflieht durch die Decke

[O-Ton Fritz Schellack:]
"Er hat Leute erpresst, die Eisenhüttenarbeiter im Soonwald, er hat die jüdischen Kaufleute drangsaliert. Und hier in der Nähe von Simmern, am Thiergarten, ist einer umgebracht worden, da haben die sich einfach besoffen und haben die Leute abgestochen. Also, das waren verabscheuungswürdige Taten."

[Atmo: Lautenspieler:]
"Und weil er manchmal Armen gab,
Verfolgt sein Ruf ihn übers Grab."

Dass der Schinderhannes vor allem reiche Leute beraubte, ist unstreitig. Bei denen war nun mal am meisten zu holen. Aber seine angebliche soziale Ader ist nach Ansicht des Museumsdirektors reine Legende.

[O-Ton Dr. Fritz Schellack:]
"Die Griebelschieder Kirmes – der Räuberball, der gefeiert wurde – da haben die wahrscheinlich den 'Dicken Max' gemacht, da haben sie Geld gekriegt und da haben sie 'ne Runde geschmissen, und daraus mag das herrühren. Also, da steckt keine Sozialpolitik dahinter."

Auch bei den Simmerner Schinderhannes-Festspielen wird der Titelheld eher als sympathisches Schlitzohr dargestellt, denn als gemeiner Schurke. Das Image vom deutschen Robin Hood, es ist einfach nicht totzukriegen.

[Atmo: Lautenspieler:]
"Er war der Fluch des reichen Mannes,
Doch die Leut', die lieben Hannes.
Er konnt’ stehlen, morden, rauben,
Wichtig ist, was Leute glauben."

 

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JOHANNES BÜCKLER ALIAS SCHINDERHANNES
- wichtige Daten im Leben des Räuberhauptmanns

1778 o. 1779 geb. in Miehlen (Taunus) als Sohn des "Schinders" (Abdeckers) Johann Bückler und seiner Frau Anna Maria, geb. Schmitt

1792 Familie Bückler zieht nach Merzweiler (Hunsrück)

1796 Sch. beginnt eine Lehre bei dem Abdecker Nagel in Bärenbach; bald erste Diebstähle: ein Pferd, mehrere Hammel und Felle; Prügelstrafe und Haft in Kirn, Ausbruch aus der Arreststube,  Zuflucht im Hochwald in Züsch und Muhl

1797 Mord am Placken-Klos, einem anderen Verbrecher, bei der Burgruine Baldenau; Sch. hat geholfen

1798 Verhaftung in Weiden; ein Tag Haft in Herrstein, Transport nach Saarbrücken, Ausbruch nach einem Tag

1798 Mord am Forsthaus Thiergarten im Soonwald; Sch. war dabei, als der jüdische Viehhändler Simon Seligmann aus Seibersbach beraubt und umgebracht wurde

1799 Verhaftung in Schneppenbach; Gefängnis in Simmern; Flucht nach knapp sechs Monaten

1800 Raubeinbruch mit Mord in Otzweiler; danach erstmalige Flucht über den Rhein

1800 Sch. verliebt sich in Juliane Bläsius (Julchen) auf dem Wickenhof bei Kirn

1800 Sch. gibt gegen Schutzgeld Pässe an Reisende aus, damit sie nicht überfallen werden

1800 Sch. haust mit seinen Freunden auf der Schmidtburg bei Schneppenbach

1800 Räuberball in Griebelschied

1800 Erpresserbrief an die Gräfenbacher Hütte (Soonwald)

1801 Überfall mit der Niederländer Bande in Würges (Taunus) auf die Posthalterei

1801 Raubüberfall auf den Juden Isaak Moses in Laufersweiler mit reicher Beute

1801 Widerstand der Bürger bei einem Raubüberfall in Staudernheim

1802 Sch. flieht über den Rhein, nennt sich Jakob Ofenloch und zieht als Händler umher

1802 Sch. wird in der Nähe von Wolfenhausen bei Limburg verhaftet

1802 Sch. wird nach Frankfurt transportiert und verhört; Auslieferung an die Franzosen, Inhaftierung im Holzturm in Mainz

1802 Julchen Bläsius bringt im Gefängnis seinen Sohn Franz Wilhelm zur Welt

1803 Prozess mit 68 Angeklagten; 20 Freisprüche, 28 Kerkerstrafen, 20 Todesurteile (darunter auch Sch.)

1803 Hinrichtung in Mainz zusammen mit 19 Kumpanen

 

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Hier geht's mit dem Rad nach Emmelshausen und zur Reportage Hunsrück 3.