Australiens Süden 1
MELBOURNE
- "down under" von hoch oben
Ausgangspunkt für eine Reise durch Australiens Süden ist die 3,4-Millionenstadt Melbourne – weltbekannt durch internationale Sportveranstaltungen wie das Auftaktrennen der Formel-1-Saison oder das Tennis-Grand-Slam-Turnier. 1956 war Melbourne auch Austragungsort der Olympischen Spiele, im März 2007 fanden hier die Schwimm-Weltmeisterschaften statt. Schneller, höher, weiter heißt das Motto. Nicht nur auf sportlichem Gebiet. Die australische Wirtschaftsmetropole Melbourne boomt, und die Wolkenkratzer schießen wie Pilze aus dem Boden. Jüngstes Beispiel ist der "Eureka Tower". Knapp 300 Meter hoch, überragt er die gesamte Skyline. Seit dem Frühjahr 2007 ist das "Eureka Skydeck 88" geöffnet, die höchste Aussichtsplattform der südlichen Hemisphäre. Von hoch oben kann man auf "down under" herabblicken. Die neueste Attraktion für Touristen und für Einheimische.
Reportage (Radio hr4, 28.04.2007; hr-iNFO, 12.05.2007; rbb-INFOradio, 19.05.2007):
[Atmo: Fahrstuhl]
88. Etage, bitte aussteigen. In nur 40 Sekunden hat uns der Fahrstuhl hinaufkatapultiert. Begleitet werde ich von Antje Armstroff. Sie stammt aus Bersrod bei Gießen, lebt aber seit August 2006 in Melbourne. Auch die Oberhessin hat ihre Wahlheimat noch nie aus der Vogelperspektive erlebt. Der 360-Grad-Blick ist überwältigend. Ein Häusermeer, das nur vom Ozean und vom Horizont begrenzt wird. Zur besseren Orientierung haben wir einen kundigen Führer dabei.
[O-Ton James Cockburn:]
"Over to your right ...
Zu Ihrer Rechten ist das Tennis Centre, erklärt uns James Cockburn vom Management des Eureka Skydeck 88. Die Rod Laver Arena mit geschlossenem Dach und gleich nebenan die Vodafone Arena. Während der Australian Open ist da jede Menge los. Es ist fantastisch. Und im Hintergrund das MCG, das berühmte Cricket-Stadion von Melbourne.
... famous Melbourne cricket ground."
Er zeigt uns auch den Albert Park Circuit, wo die Formel-1-Piloten ihre Runden drehen, die Hafendocks, den Gouverneurspalast und vieles mehr. Direkt zu unseren Füßen liegt Southgate, eines der Lieblingsviertel von Antje Armstroff.
[O-Ton Antje Armstroff:]
"Hier unten, wie man sieht, fließt der Yarra entlang, und das ist, finde ich, eine der nettesten Ecken der Stadt, weil es immer wieder Wasser gibt. Und wenn man hier unten sitzt, je nach Tageszeit 'n Kaffee, 'n Bier oder 'n Wein trinkt, dann genieße ich das einfach sehr, das ganze Flair, die Boote fahren vorbei, die Fußgänger. Und man kann 'n bisschen gucken und das Leben genießen. Noch dazu hat man hier, wie ich finde, 'n ganz tollen Blick auf die Skyline von der Innenstadt."
Vom Skydeck aus wird auch deutlich sichtbar, warum Melbourne "Garden City" genannt wird. Parks und Grünanlagen unterbrechen immer wieder das Grau der Häuser und Straßen. Antje erholt sich besonders gerne in den Fitzroy Gardens. Sie liegen unmittelbar hinter der Kirche der deutschen lutherischen Gemeinde, wo sie als Pädagogin für die Kinder- und Jugendarbeit zuständig ist. Und da zieht es auch uns jetzt hin. Also runter vom Turm und immer dem Eukalyptus-Duft nach:
[O-Ton Antje Armstroff:]
"Ich bin ja eigentlich ein Landei aus dem schönen Oberhessen, und da gibt's eben viel Natur. Aber, wie man sieht, hier gibt's viele große grüne Parks mit Bäumen, die wir sonst überhaupt nicht kennen. Und ich finde, die Luft ist einfach besser. Und wenn man sich hier hinsetzt mit 'ner Picknickdecke, da fühlt man sich gleich wieder in 'ner anderen Welt, und es ist kaum zu glauben, dass man nur 100 Meter von der CBD, der Innenstadt von Melbourne, entfernt ist."
Und was man nicht sehen konnte vom Skydeck, war, wie multikulturell Melbourne ist. Mehr als hundert Nationalitäten leben hier. Chinesen, Inder, Europäer. Allein 200.000 Griechen. Mehr sind es nur in Athen und Thessaloniki. Antje liebt das Völkergemisch in ihrer neuen Heimat, das friedliche Miteinander und: das leckere Essen. Am liebsten geht sie in die Lygon Street.
[O-Ton Antje Armstroff:]
"Wenn ich hier bin, dann hab' ich immer das Gefühl, ich bin nicht in Australien, sondern in Italien. Nicht umsonst wird der Bezirk hier 'Little Italy' genannt. Und vor allem, wenn man in den Abendstunden hier ist, wimmelt es tatsächlich von Italienern. Es ist rundrum alles voll von Pizzerien, Spaghetterien, Eisdielen. Es ist hier ein ganz ganz nettes Flair, das macht einfach Spaß, hier 'n bisschen zu bummeln. Man fühlt sich, wenn man Heimweh hat, wieder ein bisschen europäischer."
Heimweh hat sie allerdings nur selten. Dazu bietet die Stadt viel zu viel Abwechslung. Auch am Wochenende.
[O-Ton Antje Armstroff:]
"Das Meer ist nicht weit. Man fährt 20 Minuten mit der Straßenbahn nach St. Kilda, und schon ist man am Meer und an 'nem ganz tollen Strand und man kann baden gehen und schwimmen. Es gibt hier viel zu unternehmen und zu erleben in Melbourne."
Ein echtes Erlebnis war für Antje Armstroff auch der Besuch auf dem neuen Eureka Skydeck. Und sie wird bestimmt bald wieder in den 88. Stock hinauffahren. Dann wahrscheinlich mit ihren Kindern aus der deutschen Kirchengemeinde.
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TAL DER AHNUNGSLOSEN
- Taxifahrer ohne Ortskenntnisse
Melbourne, Australien, März 2007.
Meine Interview-Partnerin Antje Armstroff und ich schauen uns fassungslos an. Wir sitzen in einem Taxi und wollen zu den Fitzroy Gardens, ein großer Park mitten in der Stadt, aber der Taxifahrer (vermutlich Südamerikaner) hat noch nie davon gehört.
"In der Nähe der Kathedrale", schiebt Antje nach.
"Kathedrale?", fragt der Taxifahrer zurück.
Wieder schaue ich Antje an und stelle mir vor, ich steige in Köln in ein Taxi, sage, ich will zum Dom, und der Taxifahrer schaut mich verständnislos an: "Hä, welcher Dom?"
Das Erlebnis ist kein Einzelfall. Schon am frühen Morgen, als ich zur Dreifaltigkeitskirche fahren wollte, um mich mit Antje Armstroff zu treffen, erging es mir nicht besser. Im Gegenteil: Vor meinem Hotel wartete eine ganze Reihe von Taxen auf Kundschaft. Ich sprach den Fahrer des vordersten Wagens an und sagte ihm, ich müsse zur "Holy Trinity Church" am Parliament Place. Weil es nach dem Frühstück ein bisschen hektisch geworden war, hatte ich keine Zeit gehabt, selber auf dem Stadtplan nachzuschauen, wo genau die Kirche liegt. Aber "Parliament Place" hörte sich sehr prominent an. Dennoch schüttelte der Taxifahrer (vermutlich Pakistani) den Kopf: "Nie gehört. Wo ist das?" – "Weiß ich nicht. ICH bin doch hier der Tourist."
Schon leicht entnervt sprach ich den Fahrer des zweiten Taxis an (vermutlich Iraner oder Kurde). Aber auch der wusste angeblich nicht, wo der Parliament Place ist, und die Dreifaltigkeitskirche kannte er noch viel weniger. Außerdem, fügte er hinzu, selbst wenn er es wüsste, könnte er mich nicht fahren, weil sein Kollege zuerst dagewesen sei. "Aber der kennt sich doch überhaupt nicht aus!" – "Tja, das ist dann eben Pech."
Jetzt hätte es mich nicht mehr gewundert, wenn plötzlich Kurt Felix mit der versteckten Kamera aus dem Gully gesprungen wäre. In dieser Situation allerdings verstand ich gar keinen Spaß mehr, stapfte wutentbrannt zurück zur Hotelrezeption und fragte dort nach dem Weg. Wie sich herausstellte, war der Parliament Place gar nicht so weit weg und in 20 Minuten zu Fuß zu erreichen. Eine sehr gute Nachricht, denn diese Idioten da draußen sollten keinen müden Cent mehr von mir bekommen!
Die Taxifahrer in Sydney kannten sich übrigens keinen Deut besser aus. Bei meinem ersten Versuch wollte ich zum "Portobello Café" – sozusagen die erste Adresse an der Hafenpromenade. Kennt jeder, wurde mir vorher versichert, und ich selbst war auch schon mehrfach daran vorbeigelaufen. Zumindest dem Taxi-Chauffeur (vermutlich Serbe oder Kroate) aber war das Café völlig fremd. Zum Glück kannte ich mich zu dem Zeitpunkt schon einigermaßen aus in Sydney. "Gleich bei der Oper", erklärte ich weltmännisch, inständig hoffend, dass er von dem berühmtesten Gebäude der Stadt schon mal gehört hätte. Und tatsächlich war ihm wenigstens das Opernhaus nicht fremd. Hurra!
Beim zweiten Versuch wollte ich zur "Wildlife World". Auch dieser Taxifahrer (vermutlich Chinese) schaute mich nur mit leeren Augen an: "Wildlife World?" – "Ja, der neue Indoor-Zoo am Darling Harbour, neben dem Aquarium." – "Ah, Aquarium."
Der Tonfall, in dem er dieses "Ah!" gesagt hatte, räumten meine Zweifel an seiner Ortskenntnis keineswegs aus. Etwas beruhigter wurde ich erst, als er zumindest die richtige Richtung einschlug. Und tatsächlich brachte er mich am Ende ohne größere Umwege ans Ziel. Leicht ironisch sagte ich: "Na, jetzt haben Sie wieder was dazugelernt." Aber er antwortete nur treuherzig: "Yes, I learn every day from passengers." (Ja, ich lerne jeden Tag von meinen Fahrgästen.)
Na, wunderbar! Australien, das Tal der ahnungslosen – aber lernwilligen – Taxifahrer. Falls ich das ferne Land je wieder betreten und dort in ein Taxi steigen sollte, werde ich ein GPS-Gerät mitnehmen. Sicher ist sicher.
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