Rumänien 1


DER SCHLUPFWINKEL DES BLUTSAUGERS
- Besuch im "Dracula-Schloss" von Bran

Dann begeben wir uns doch mitten hinein in die Höhle des Löwen bzw. das Schloss des Vampirs. Es liegt an einer alten Passstraße über die Karpaten und wurde früher Törzburg genannt, heute Schloss Bran. Die Siebenbürger Sachsen haben die Feste im Mittelalter gebaut, als Zollstation für Kaufleute, die aus der Walachei herüberkamen, um in Kronstadt ihre Waren zu verkaufen. Im Urzustand wies die Törzburg deutliche Ähnlichkeiten mit dem Dracula-Schloss aus Bram Stokers Roman auf. Deshalb sind viele überzeugt, sie habe dem irischen Schriftsteller als Vorbild gedient. Und so ist das transsilvanische Städtchen Bran längst zum Mekka für Dracula-Fans aus aller Welt geworden. In Scharen pilgern sie zu dem vermeintlichen Schlupfwinkel des Blutsaugers, auf der Suche nach dem ultimativen Grusel-Faktor.

Reportage (Radio hr4, 27.09.2014; rbb-INFOradio, 01.11.2014; SWR4 RP, 25.07.2021:)

[Musik: Titelmelodie aus dem Film "Tanz der Vampire"

Von Ferne wirkt Schloss Bran schon ein wenig mystisch, besonders bei Regenwetter, wenn es von tiefhängenden Wolken umhüllt wird. Aber aus der Nähe entpuppt es sich als romantisches Märchenschloss. Vor knapp hundert Jahren wurde die ehemalige Törzburg aus- und umgebaut. Und der Stil trägt unverkennbar eine weibliche Handschrift.

[zum Anhören klicken: O-Ton Tourguide Manuela Fozocos]

"It's actual shape comes from Queen Maria ...
Seine heutige Form erhielt das Schloss unter Königin Maria. Sie war die zweite Königin von Rumänien und verwandelte die alte Burg in eine Residenz, einen Ort, wo sie etwas Ruhe und Frieden finden konnte. Bran wurde zu einer der modernsten Burgen in Europa mit elektrischem Strom, fließend Wasser und Heizung – obwohl die Heizung selten benutzt wurde, weil es eine Sommerresidenz war.
... it was a summer residence."

Ehem. Törzburg nach dem Umbau
Wohnraum der königl. Familie
Filmplakat auf Schloss Bran

Manuela, unser Tourguide, ist nur eine von vielen, die an diesem Vormittag Besuchergruppen durch das historische Gemäuer führen. Die Touristenmassen kommen vor allem aus den USA, aus Fernost und aus Russland. Aber statt Särgen mit schlafenden Vampiren kriegen sie die rustikal eingerichteten Wohnräume der königlichen Familie zu sehen. Ein klein wenig Grusel vermittelt allenfalls der dunkle Geheimgang, in dem Geisterforscher eine "energetische Präsenz" gemessen haben sollen.

[O-Ton Manuela Fozocos:]
"Evidence for ghosts, not necessarily ...
Ein Beweis für Geister, nicht unbedingt für Vampire. Es könnten Vampire sein, es könnte Königin Marias Geist sein, es könnte alles Mögliche sein. Eine energetische Präsenz eben – das kann alles bedeuten.
... that could mean everything."

Vielleicht war es ja der Geist von Vlad III. Drăculea. Dieser grausame Herrscher hat seine Feinde gepfählt und qualvoll verbluten lassen. Bram Stoker, heißt es, hatte ihn im Sinn, als er die Figur des Grafen Dracula erfand. Und eine historische Quelle besagt, dass er zumindest einmal auf der Törzburg übernachtet hat.

[(O-Ton Manuela Fozocos:]
"Vlad the Impaler came here often ...
Vlad der Pfähler kam oft hier in die Gegend, um sein Heer zu organisieren, wenn Feinde versuchten in sein Land einzudringen. Er hat auf der Burg Station gemacht, aber niemals hier gelebt.
... but he never lived here."

"Dracula"-Autor Bram Stoker
Geheimgang
Tourguide Manuela Fozocos

Warum sie Bram Stoker trotzdem als Schauplatz seines Dracula-Romans gewählt hat – und ob überhaupt – kann Manuela nicht beantworten. Es sei sogar unklar, ob der Autor jemals Transsilvanien besucht hat und die Törzburg aus eigener Anschauung kannte.

[O-Ton Manuela Fozocos:]
"But in my personal opinion ...
Aber nach meiner persönlichen Meinung muss er hier gewesen sein, weil er die Gegend so genau beschrieben hat; er muss davon inspiriert worden sein. Es gibt einfach zu viele Ähnlichkeiten mit dem echten Transsilvanien. Dass er der Realität so nahe gekommen ist, kann kein Zufall sein.
... to coincide the reality so much."

Auch Erzählungen über Vampire könnte Stoker hier aufgeschnappt haben. Der Glaube daran sei sogar heute noch weit verbreitet, sagt Manuela. Vor allem wenn ein paar Alte nachts zusammen am Feuer säßen, machten derlei Gruselgeschichten die Runde.

Schloss Bran aber scheint dafür nicht der richtige Ort. Wirklich gruselig sind hier nur die vielen Dracula-Souvenirstände hinter dem Ausgang.

 

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DIE HERRIN AUF DEM "DRACULA-SCHLOSS"
- wer genau war Königin Maria?

Auf den Bildern, die im Schloss Bran hängen, sieht sie sehr hübsch aus, zart und anmutig. Und ausgerechnet dieses reizende Geschöpf hat den Schlupfwinkel des Blutsaugers Dracula zu seinem Sommersitz erkoren, könnte man verwundert sagen. Mutig, mutig! Doch als Königin Maria 1920 die Törzburg von der Stadt Kronstadt geschenkt bekam, brachte noch niemand das alte Gemäuer mit dem "König der Vampire" in Verbindung. Der Hype um das angebliche "Dracula-Schloss" ist erst wenige Jahrzehnte alt. Zu Marias Lebzeiten war es einfach eine in die Jahre gekommene Zollburg, die sie vielleicht sogar ein bisschen an ein verwunschenes Dornröschen-Schloss erinnerte. Ob die Königin allerdings Grimms Märchen gelesen hatte, ist leider nicht überliefert. Unbedingt voraussetzen muss man es nicht. Bei ihrer Hochzeit mit dem damaligen Kronprinzen Ferdinand, 1893, war sie zwar offiziell eine Prinzessin von Sachsen-Coburg-Gotha, aber dennoch keine "richtige" Deutsche.
Als Enkelin von Königin Victoria wurde sie 1875 in Großbritannien geboren und wuchs in Malta auf. Ihrem Vater Alfred, zweitgeborener Sohn der Queen und des deutschen Prinzgemahls Albert, war erst kurz zuvor die Coburger Herzogswürde von seinem verstorbenen Onkel zugefallen. Ein "richtiger" Deutscher war dafür ihr Bräutigam, der rumänische Kronprinz und spätere König Ferdinand I. Er stammte wie schon sein Adoptivvater Karl I. aus dem Fürstenhause Hohenzollern-Sigmaringen (siehe dazu auch meine Reportage "Die junge Donau 1"). Maria mochte ihn nicht und soll sich sogar vor ihm geekelt haben. Bei vier ihrer sechs Kinder wird die Vaterschaft Ferdinands angezweifelt. In ihrer Ehe war sie es offenbar, die die Hosen anhatte. So wird auch vermutet, dass Maria die Hände im Spiel hatte, als König Ferdinand im Ersten Weltkrieg – seiner deutschen Herkunft zum Trotz – Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich den Krieg erklärte. Rumänien jedenfalls gehörte am Ende zu den Siegern und konnte sein Staatsgebiet deutlich ausweiten. Ungarn musste Siebenbürgen an das Nachbarland abtreten, auch Kronstadt und die Törzburg wurden damit rumänisch. Nur deshalb konnte Königin Maria Herrin auf Schloss Bran werden. Nach dem Umbau wurde es zu ihrem liebsten Aufenthaltsort bis zu ihrem Tod 1938. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der kommunistischen Machtübernahme ging das Schloss in den Besitz des rumänischen Staates über. Heute (2014) gehört es Marias Enkel Dominic Habsburg, der 2009 das Museum eröffnete und Schloss Bran damit der Öffentlichkeit zuägnglich machte. Dass die Menschenmassen hauptsächlich wegen Graf Dracula herbeiströmen und nicht wegen seiner royalen Oma, dürfte dem Schlosserben ziemlich egal sein.

 

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Hier geht's weiter zu den Bären und der Reportage Rumänien 2.