Opalküste 4


VICTOR HUGOS LIEBE AUF DEN ERSTEN BLICK
- das malerische Städtchen Montreuil-sur-Mer

Rund 10 km landeinwärts von der Opalküste liegt das malerische Städtchen Montreuil-sur-Mer. Der Name allerdings trügt, denn der Marktflecken mit kaum 3.000 Einwohnern hat gar keinen Zugang zum Meer. Und das schon seit dem 14. Jahrhundert. Damals versandete der einst breite Mündungstrichter des Flusses Canche. Doch der Beiname "sur-Mer" ist geblieben ­– auch zur Unterscheidung von der Pariser Vorstadt gleichen Namens. Obwohl es also kein Meer und keinen Strand gibt, kommen viele Touristen in den kleinen Ort, und das hat Tradition: Schon der französische Dichterfürst Victor Hugo stattete Montreuil-sur-Mer nach eigenem Bekunden einen kurzen Besuch ab. 1837 war das. Er blieb nur vier Stunden, aber es muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein. Denn Hugo machte Montreuil zu einem Schauplatz seines monumentalen Romans "Die Elenden" ("Les Misérables"). Die bewegende Story wurde mehr als 20 mal verfilmt und in einem Musical verarbeitet. Seit 1996 huldigt Montreuil-sur-Mer dem berühmten Dichter mit Freilichtspielen auf der Zitadelle, wo sein Romanstoff als Bühnenstück aufgeführt wird.

Reportage (Radio SWR4 RP, 19.06.2022):

[Szene aus "Les Misérables:]

"Il sait: 'Je suis un misérable' ..."

Ich bin ein Elender, sagt Jean Valjean, die Hauptfigur des Stücks, über sich selbst. Als junger Mann stiehlt er ein Stück Brot und muss dafür 20 Jahre ins Gefängnis. Nach seiner Entlassung erfährt er erstmals menschliche Güte, geht nach Montreuil-sur-Mer, wird dort Bürgermeister und selbst zum Wohltäter, bis die Vergangenheit ihn wieder einholt. Das in aller Kürze ist die Handlung von "Les Misérables". Doch Armut und Elend sind längst passé. Wer heute durch Montreuil schlendert, findet dort Kleinstadt-Idylle pur:

[O-Ton Touristin:]
"Das ist ganz niedlich. Mich erinnert es an die Niederlande. Viele schöne kleine Häuser, Fassaden, unterschiedliche Architektur, unterschiedliche Farben, Fenster, Simse, schmiedeeiserne Arbeiten, ganz schnuckelig, wie so ein kleines Künstlerdorf, find' ich."

Viele schöne kleine Häuser
Unterschiedliche Architektur und Farben
Schnuckelig wie ein Künstlerdorf

Seit dem Besuch von Victor Hugo scheint sich nicht viel verändert zu haben. Aber war er überhaupt in Montreuil? Bezeugen kann es niemand. Unser Stadtführer Jean-Marie Chevalier ist dennoch sicher. Er führt uns in die Kirche St. Saulve und zeigt uns das Taufbecken.

[O-Ton Jean-Marie Chevalier:]
"Voilà, c'est un example …
Das ist ein Beispiel, das beweist, das Victor Hugo wirklich hier war. Er hat nämlich genau dieses Taufbecken nachgezeichnet in einem Brief an seine Frau Adèle. Er hat die Kirche in Montreuil besichtigt, aber auch die Stadtmauer zum Beispiel, die ich Ihnen später noch zeigen werde.
… que vous j'expliquai plutard."

Beim anschließenden Gang über die Mauer schauen wir auf die Unterstadt hinab, das ehemalige Armenviertel "La Madeleine". Und "Père Madeleine" ist der Deckname, den Jean Valjean benutzt, weil er seine wahre Identität als Ex-Sträfling verbergen muss. Allzu positiv wird Montreuil-sur-Mer im Roman nicht dargestellt. Trotzdem fühlt man sich hier geehrt:

Taufbecken in der Kirche
Spaziergang auf der Stadtmauer
Stolz auf Victor Hugo

[O-Ton Jean-Marie Chevalier auf Französisch:]

"On est fier de la popularité …
Wir sind sehr stolz. Das Buch gehört ja zu den bedeutendsten Werken der französischen Literatur. Auch wenn nur ein kleiner Teil hier spielt, denn sie gehen ja dann nach Paris, wo der größte Teil der Handlung spielt. Aber dadurch dass auch der Film hier gedreht wurde, kam uns die Idee das Ganze wieder aufleben zu lassen und dieses große Freilichtspiel ins Leben zu rufen, das jedes Jahr hier stattfindet.
… ce forme le spectacle en fait."

[Atmo: Gesang aus "Les Misérables]

Halb Montreuil wird wieder mitwirken. Etwa 500 Statisten. Auch Jean-Marie. Er mimt einen Polizisten, verrät er und verspricht ein großes Ton- und Licht-Spektakel. Am 29. Juli geht's diesmal los, dann eine Woche lang jeden Abend. Als Gage gibt es sicher wieder begeisterten Applaus.

[Atmo: Schlussapplaus aus "Les Misérables]

 

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*) alle Fotos von den Freilichtspielen mit freundlicher Genehmigung von Maison du Tourisme et du Patrimoine in Montreuil-sur-Mer

 

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