Münster 2
FEURIO!
- die Türmerin von St. Lamberti
Sie ist jung, sie ist blond, und wenn es noch das "Heitere Beruferaten" im Fernsehen gäbe, hätte sie gute Chancen mit einem vollen "Schweinderl" nach Hause zurückzukehren. Denn Martje Saljé hat einen Job, auf den so leicht keiner kommt: Sie ist Europas einzige hauptberufliche Türmerin. Seit Januar 2014 bekleidet sie das buchstäblich höchste Amt der Stadt Münster. Aus 75 Meter Höhe, vom Turm der Lambertikirche, hält sie Ausschau nach Bränden, um im Falle des Falles rechtzeitig die Feuerwehr zu alarmieren. Sie setzt damit eine Tradition fort, die vor mehr als 600 Jahren begonnen hat, und sie ist die erste Frau in diesem Amt.
Reportage (nur für diese Webseite):
[Atmo: Türmer-Horn]
So klingt es, wenn Martje Saljé aus luftiger Höhe ins Horn stößt. Neun langgezogene Signaltöne bedeuten Entwarnung, kein Feuer in Sicht, ein kurzes Stakkato hieße: Alarm. Ihr Arbeitsgerät ist eine Nachbildung des Türmerhorns aus dem 16. Jahrhundert:
[O-Ton Marte Saljé:]
"Das ist 1,20 m lang etwa, aus Kupfer, besteht aus zwei Teilen und einer anliegenden Metallzunge, die durch einen Windkanal zum Klingen gebracht wird, und das ist eben seit 1383 bekannt, dass der städtische Türmer von Münster Alarm- oder Entwarnungssignale gibt. Meist sind es Entwarnungssignale, wenn alles ruhig ist, kein Feuer, keine Feinde, und mit dem Horn wird eben in drei Himmelsrichtungen ein Signal gegeben."
Allabendlich außer dienstags versieht die junge Frau ihren Dienst auf dem höchsten Kirchturm von Münster. Eingehüllt in einen blauen Umhang aus wärmender Wolle, tritt sie zwischen 21 Uhr und Mitternacht im halbstündigen Rhythmus hinaus aus ihrer engen Turmstube und schaut mit ihrem Fernglas in die Runde. Die ganze Stadt liegt ihr dabei zu Füßen, an klaren Tagen reicht der Blick bis hinüber zum Teutoburger Wald. Sie genießt ihn sehr, ihren ungewöhnlichen Job, und sie ist auch ein bisschen stolz darauf.
[O-Ton Martje Saljé:]
"Weil ich das total spektakulär finde, dass Münster wirklich europaweit die einzige Stadt ist, die das so ernst nimmt, dass das Amt im Öffentlichen Dienst angesiedelt ist, und hier liegen so Moderne und das Alte ganz nah beieinander. Also zum Beispiel hab ich ja dieses mittelalterliche Amt, muss aber – das gehört mit zum Beruf – bloggen. Also ein höchst modernes Amt mitten in einer alten Türmerstube, finde ich sehr charmant und reizvoll."
Früher hat Martje Musik und Geschichte studiert, jetzt setzt sie mit einem historischen Instrument einen Teil der Geschichte Münsters fort. Nur das Bloggen ist neu. Ihre Amtsvorgänger hatten noch kein Laptop zur Verfügung. Und es waren ausnahmslos Männer.
[O-Ton Martje Saljé:]
"Genau. Seit über 630 Jahren erstmalig eine Frau im Amt – wobei ich das gar nicht wichtig finde. Es ist wichtig, dass eine Person eben gefunden wird, die dieses Brauchtum weiter pflegt und die Tradition aufrecht erhält. Das ist das Wichtige."
Langweilig wird ihr nicht in ihrer einsamen Türmerstube, versichert Martje Saljé, und ihr Amt sei auch mehr als reine Nostalgie. Denn immerhin zweimal in ihrer Dienstzeit sei tatsächlich ein Feuer ausgebrochen:
[O-Ton Martje Saljé:]
"Ich habe vor zwei Jahren, als ich das Amt begonnen habe, schon mal eine leichte Rauchsäule, einen Unterholzbrand gesehen, bevor es jemand anders gemeldet hat. Aber ganz spektakulär: Vergangenen Montag hab ich die Feuerwehr angerufen, die hatten auch noch keine Meldung, sind sofort losgefahren, haben die sehr ernst genommen. Ich hab die dann dirigiert von oben durchs Unterholz. Es war ein Stadtpark, wo's gebrannt hat. Es stellte sich raus nach etwas längerer Suche, dass Gartenabfälle illegal verbrannt worden sind und eine schlimme Rauchentwicklung da war, und in der Nähe war ein Ferienlager von Kindern und Jugendlichen. Das hätte also richtig böse enden können, wenn die Flammen sich ausgebreitet hätten im Wald. Gott sei Dank, wurde es erkannt, und die Feuerwehr ist wirklich auf Zack, die ist dann ganz schnell herbei, hat gelöscht, und jetzt wird das sehr gefeiert, dass das immer noch funktioniert, wie im 14. Jahrhundert – Türmerin, höchster Punkt der Stadt, Auge der Feuerwehr schlägt Alarm, und es wird sofort gelöscht."
Ein wenig Genugtuung für die Stadt Münster, dass sie sich das mittelalterliche Amt etwas kosten lässt, aber auch ein wenig Genugtuung für sie selbst, gibt Martje zu:
[O-Ton Martje Saljé:]
"Es ist ja so: Man wünscht sich ja nie, dass es brennt, und auch nicht, dass was passiert. Mensch und Tier und Pflanze sollen nicht geschädigt werden. Aber wenn's passiert, dann hab ich doch den Ehrgeiz, das als erste zu sehen und zu melden."
Ihr Job ist unbefristet. Wenn ihre Beine es mitmachen, könnte sie theoretisch bis zur Rente sechsmal die Woche abends die 300 Stufen des Kirchturms erklimmen. Ob sie tatsächlich so lange durchhält, weiß Martje Saljé nicht, aber bis irgendwann das Ende kommt, will sie noch möglichst oft Signal geben. Am liebsten Entwarnung.
[Atmo: Türmer-Horn]
__________________________________________________