DER MYSTISCHE WALLFAHRTSORT
- Besuch der Ruinenstätte Teotihuacán

Keiner weiß, wer ihre Bewohner waren, woher sie kamen und wohin sie gegangen sind. Fest steht, dass sie schon drei Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung eine Stadt gewaltigen Ausmaßes gegründet haben, deren Überreste noch heute Menschen aus aller Welt in Erstaunen versetzen. Teotihuacán, nordöstlich von Mexico City, hatte in seiner Blütezeit bis zu 200.000 Einwohner auf einer Fläche von mehr als 20 Quadratkilometern. Seine markantesten Bauwerke, die Sonnen- und die Mondpyramide stehen an Größe und Höhe den ägyptischen Pyramiden kaum nach. Bis zum 8. Jahrhundert nach Christus war die Stadt von dem rätselhaften Volk besiedelt, dann wurde sie aufgegeben. Aber noch Jahrhunderte später pilgerten die Azteken dorthin, um ihren Göttern Opfer darzubringen. Ein Wallfahrtsort ist Teotihuacán bis heute geblieben – wenn auch weniger aus religiösen als aus touristischen Gründen. Seit 1987 zählt die Ruinenstätte zum Weltkulturerbe. Sie bietet einzigartige Einblicke in die Welt der frühen Hochkulturen Mittelamerikas. Nur etwas Kondition müssen ihre Besucher schon mitbringen.

Reportage (Radio hr4, 22.11.2014):

[Atmo: Keuchen beim Treppensteigen]

Genau 248 Treppenstufen führen hinauf zur Spitze der Sonnenpyramide. 65 Meter ist sie hoch. Da gerät mancher ins Schwitzen, bis er endlich oben angekommen ist.

[zum Anhören klicken: O-Töne Touristen]

"Anstrengend. Steil und anstrengend, aber wenn man dann hier oben steht, da hat sich die Mühe gelohnt. Man sieht dann die Mondpyramide, man sieht dann das Tal, man sieht auch die anderen Ausgrabungen im Ganzen. Das ist schon beeindruckend."
"Es ist absoluter Wahnsinn, wenn man sich auch mal anguckt, wie groß das ganze Areal ist, welche Masse von Leuten hier gewohnt hat, wie viele unterschiedliche Anlagen, das ist schon beeindruckend, grad' auch von hier oben gesehen."

Die Sonnenpyramide steht im Zentrum der Ruinenstätte. Zu Ehren ihrer Götter haben die Teotihuacanos sie einst errichtet. Den heutigen Namen haben ihr erst die Azteken gegeben. Mit dem Sonnengott hatte sie ursprünglich gar nichts zu tun, erklärt Heike Arzapalo, unsere Reiseleiterin.

Teotihuacán
Aufstieg zur Sonnenpyramide
Blick von der Sonnen- zur Mondpyramide

[O-Ton Heike Arzapalo:]
"Das ist dem Gott der Unterwelt gewidmet. Also, es ist im strengen Zusammenhang mit der Unterwelt und mit dem Wasser. Das mit dem Wasser wissen wir auch durch diesen natürlichen Tunnel, den man gefunden hat. Dort findet man Begräbnisse, an jeder Ecke der Sonnenpyramide, und da findet man Kinder, und Kinder wurden normalerweise dem Regengott geopfert."

Menschenopfer, um die Götter milde zu stimmen, waren an der Tagesordnung im alten Mexiko. Und Gottheiten gab es zuhauf. Meist in Tiergestalt. Auch Quetzalcóatl, die gefiederte Schlange, Hauptgott der Azteken und Mayas, wurde schon von den Teotihuacanos verehrt. Das beweisen symbolträchtige Bildnisse an den Mauern der Ruinen.

[O-Ton Heike Arzapalo:]
"Viele sagen ja, es ist eine Schlange, aber dann sagen andere, es sieht wie ein Raubtier aus, eine Echse, kann alles etwas von diesen Tieren haben. Das sind mythische Tiere, keine wahren Tiere. Also haben sie Motive, Elemente, Gesichtszüge von verschiedenen, die alle einen Zusammenhang mit der Natur haben, und zwar die gefiederte Schlange hat zwei Sachen – sie läuft immer durch die Erde, aber sie hat auch Federn, sie kann auch in die Luft fliegen."

Heike Arzapalo
Jaguar als Gottheit
Kakteen in der Ruinenstätte

Viele Mythen und Riten also scheinen hier ihren Ursprung zu haben. Die Faszination, die Teotihuacán auf nachfolgende Hochkulturen ausgeübt hat, ist bis heute ungebrochen. So besteigen Tausende von Esoterikern zur Tag- und Nachtgleiche im März und im September die Sonnenpyramide. Sie bringen Quarzsteine mit, um sie von magischen Strahlen aufladen zu lassen.

[O-Ton Heike Arzapalo:]
"Auch zum Beispiel vor über 20 Jahren, da gab es doch diesen Komet Halley. Den hat man auf der ganzen Welt gesehen, und in Mexiko konnte man ihn sehr, sehr gut sehen, da sind sie auch alle gekommen, weiß angekleidet, und die ganze Pyramide war bedeckt, bedeckt mit Leuten."

Die magischen Strahlen existieren nur in ihrer Einbildung. Aber die besondere Magie der Ruinenstadt kann jeder spüren, das ganze Jahr über. Deshalb wird Teotihuacán wohl noch lange ein Wallfahrtsort bleiben.

 

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