GEISTERHAFT
- gespenstische Themenführung mit Irène Weber
Luzern ist so prall gefüllt mit Geschichte und Geschichten, dass eine zweistündige Stadtführung nur einen kleinen Bruchteil vermitteln kann. Wer tiefer einsteigen will, kann an einer ganzen Reihe von Themenführungen teilnehmen, auch "Stadtführungen à la carte" genannt. Die Palette reicht vom Weinbummel über den Schokoladenbummel und den Shoppingbummel bis hin zum Quizbummel für Kinder. Eine Themenführung, die im wahrsten Sinne des Wortes "begeistert", ist der Nachtgespenster-Bummel mit Irène Weber. Im Gewand des "Eier-Rösi", eines Luzerner Marktweibs und Originals, wandert sie mit Besuchern durch die engen Gassen und gibt alte Gruselgeschichten zum Besten: von Geistern, Nachtmahren und Scheintoten, die der Überlieferung nach in Luzern ihr Unwesen getrieben haben sollen. Nicht alle Geschichten sind historisch verbürgt, aber alle gut erzählt. Leider wird diese "geistreiche" Themenführung nur für Gruppen angeboten und nur in Schweizerdeutsch, weil sonst viel von ihrer Originalität verloren ginge.
Reportage (nur für diese Webseite produziert):
[Atmo-Ton Stadtführerin Irène Weber:]
"Sie, wisset Sie überhaupt, wo Sie da ständ'...?"
Irène Weber geht in ihrer Rolle als "Eier-Rösi" völlig auf. In Luzerner Mundart, mit weißer Schürze, roter Haube und einem Korb in der Hand sieht sie aus wie ein Marktweib und redet auch so daher. Ihre Gespensterführung beginnt auf dem Kapellplatz, wo früher der erste Friedhof der Stadt war. Heute steht hier der Fritschi-Brunnen. Das Fritschi, eine Gestalt aus der Luzerner Fasnacht, ähnelt mit seinen hässlichen Zahnlücken zwar einem Gespenst, ist aber keins, sondern die Symbolfigur der Safranzunft, erzählt das "Eier-Rösi". Das erste "richtige" Gespenst begegnet uns in der Furrengasse. Leider verstehe ich von der Legende nur die Hälfte, deshalb muss Irène Weber sie noch einmal auf Hochdeutsch wiederholen.
(O-Ton Irène Weber:)
"Das Furrengassgespenst, das war ein Gespenst, das jeweils plötzlich aufgetaucht ist vor 400 Jahren, mehrmals im Sommer, und sich dann verändert hat und dann plötzlich wieder verschwunden war. Es sah auch immer grässlicher aus, ist immer mehr in die Höhe gewachsen, hat einen langen Schwanz hinter sich hergezogen. Es war nicht bösartig, aber es sah schrecklich und scheußlich aus."
Gespenstisch ging es in der Zeit der Renaissance auch auf dem Weinmarkt zu. Dort wurden alljährlich Passionsspiele abgehalten. Eine große Wandmalerei zeugt noch heute davon. Das Problem war: Keiner wollte den Judas spielen, den Verräter Jesu, denn der musste sich am Ende erhängen. Um den armen Schauspieler nicht wirklich zu opfern, hatten die Luzerner eine geistreiche Idee:
[O-Ton Irène Weber:]
"Er hatte dann unter seinem Wams, wir nennen das 'Gstaltli', diese Riemen, die die Kletterer auch tragen – und ein Teufel hat dann den Judas an einem Seil zu einem 'gstumperten' Baum, zu einem zurechtgesägten Baum, geführt, dann sind sie dann 'Stieglen' herauf, das waren dann so Treppen. Zuoberst hat der Teufel das Seil befestigt, und Judas musste sich nur noch 'reinhängen, der Teufel hat dann mit einer Kralle von hinten das Wams aufgekratzt, und unter seinem Wams hatte der Judas ein Federvieh mit Eingeweide, und das ist dann so herausgehangen und die Federn sind fortgeschwebt, und das war dann die Seele des Judas, die entwichen ist."
Am Mühlenplatz zeigt uns Irène Weber ein Patrizierhaus, wo im 18. Jahrhundert der Politiker Franz Ludwig Pfyffer lebte. Von seiner schönen jungen Frau erzählt man sich, dass auch sie als Gespenst umging – als ein trauriges Gespenst.
[O-Ton Irène Weber:]
"Sie ist relativ früh gestorben, und ihr Gatte Franz Ludwig hat sie dann begraben lassen in den schönsten Gewändern und vor allem reich beschmückt. Und diese ganze Pracht ist dann auch dem Totengräber nicht entgangen, er ist dann nachts wieder auf den Friedhof geschlichen, hat dann das Grab der Frau Pfyffer wieder geöffnet, hat ihr alles geraubt, den Schmuck, die Kleider. Und als sie dann so dalag, sozusagen nur noch mit dem Nachthemd, dem Unterhemd, bekleidet, hat sie plötzlich – zack – die Augen geöffnet und ist dann sozusagen nur noch mit dem Leichentuch bedeckt den ganzen Weg durch die Stadt gewandelt zum Mühlenplatz herunter und dort in ihrem Haus verschwunden. Warum war das möglich? Sie war eben nur scheintot und hat dann aber anschließend noch 20 Jahre gelebt, aber nie mehr gelächelt."
Diese tragische Spukgeschichte noch im Ohr, überqueren wir auf der steinernen Reußbrücke den Fluss in Richtung Neustadt. Sie ist zwar längst nicht so pittoresk wie die hölzerne Kapellbrücke, aber die älteste Brücke von Luzern. Hier wurde einst ein furchtbarer Lindwurm gesichtet.
[O-Ton Irène Weber:]
"Dieser Lindwurm ist ungefähr vor 600 Jahren, kam der vom See heruntergeschwommen und ist da unter dieser Reußbrücke durch, dann reußabwärts geschwommen und hatte ein solches Tempo drauf, dass die Leute nicht mal die Länge schätzen konnten. Und was ganz unangenehm war: Gleichzeitg am Himmel ist ein Stierenkopf erschienen mit einem leuchtenden Stern zwischen den Hörnern, und das hat sogar geleuchtet bis ins Elsass. Und diese zwei Dinge, wenn man die miteinander sah, waren das Vorzeichen für ein bevorstehendes Unheil. Und es hat dann auch prompt 14 Tage später eine Pestilenz, also eine Seuche, das Volk ergriffen und ein paar Leute dahingerafft."
In der Neustadt angekommen, führt uns das "Eier-Rösi" alias Irène Weber in eine enge Gasse, wo des Nachts zwielichtige Gestalten herumgeistern sollen – das horizontale Gewerbe, verrät sie hinter vorgehaltener Hand. Tagsüber ist es hier sehr ruhig, und so kann sie ungestört ihre letzte Gespenstergeschichte erzählen: die vom "Toggeli". Es erscheint in Gestalt einer Katze, nähert sich mit einem schlurfenden Geräusch den Schlafenden, springt ihnen mit einem Satz auf die Brust und würgt seine Opfer, bis sie kaum noch atmen können. Um dieses Nachtmahr zu verteiben, werden unterschiedliche Mittel empfohlen – in Luzern benutzt man dazu ein Bajonett.
[O-Ton Irène Weber:]
"Da gibt's die Geschichte von einer Dame im Altersheim, das war noch in den 1990er Jahren, wurde mir von einem Pfleger erzählt, er hat das hautnah miterlebt: Diese Dame wollte unbedingt ein Bajonett zwischen die Beine gelegt haben, damit sie geschützt ist vor dem 'Toggeli', und als Schutz wurde dieses Bajonett eben mit einer Mullbinde umwickelt, und dann kam noch eine Sicherheitsmaßnahme oben drauf, das war eine Kernseife, die ans Fußende gelegt wurde, dass wenn im Fall das Bajonett nichts genutzt hätte, dann wäre wenigstens das 'Toggeli' auf der Seife ausgerutscht und hätte nicht auf sie sich setzen können."
[Atmo: Applaus]
Am Ende, als der ganze Spuk vorbei ist, erntet Irène Weber viel Applaus für ihre kleine Horrorshow. Schade nur, dass sie am hellichten Tage stattgefunden hat und nicht zur Geisterstunde. Das finden auch einige aus dem Kreis der Zuhörer. Ansonsten sind alle begeistert von dieser etwas anderen Stadtführung durch Luzern.
[O-Töne Touristen:]
"Ich glaub', die andere Art war das Spezielle daran. Ich denke, die Atmosphäre wär' abends im Dunkeln noch ein bisschen spezieller, speziell zu dem Thema."
"Sehr gut, eben weil es anders war. War sehr interessant. Man fühlt sich zurückgesetzt und bekommt trotzdem die Stadt zu sehen, sehr schön."
"Die Frau war sehr gut, sehr lebendig und hat das sehr gut durchgebracht. Was vielleicht schade war, die Geistergeschichten wären vielleicht am Abend, wenn es dunkel ist, mit Nebel und so, ja , das wäre das Tüpfchen auf dem I."
[Geräusch: Spukgelächter]
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