Kampanien 3

ANTIK, DOCH GUT ERHALTEN
- ein Besuch der Ruinen von Paestum

28 Unesco-Welterbestätten gibt es in Kampanien. So viele wie in keiner anderen Region Italiens. Eine davon ist der Archäologische Park von Paestum. Hier gründeten die alten Griechen im 6. Jahrhundert v. Chr. eine Kolonie, der sie den Namen Poseidonia gaben – nach ihrem Meeresgott Poseidon. Später übernahmen die Römer das Kommando und nannten die Stadt Paestum. Um das Jahr 500 n. Chr. versumpfte die Gegend, die Malaria brach aus, und die letzten Bewohner zogen weg. Erst bei Ausgrabungen im 18. Jahrhundert wurden die steinernen Überreste wiederentdeckt. Heute findet man dort einige der besterhaltenen griechischen Tempel weltweit. Ein Besuch der historischen Stätte lässt die Zeit der Antike wieder lebendig werden.

Reportage (Radio SWR4 RP, 07.07.2019):

Schon auf den ersten Blick wird deutlich, dass Paestum alias Poseidonia mal eine bedeutende Stadt war. Ruinen, so weit das Auge reicht. Die größte und älteste unter ihnen ist der Hera-Tempel, erbaut um das Jahr 530 vor Christus.

Direkt daneben steht der Poseidon-Tempel, das eigentliche Prunkstück der gesamten Anlage. Um seinen Namen gibt es allerdings einige Verwirrung, wie der Audioguide zu berichten weiß:

[Audioguide:]
"Der sogenannte Poseidon-Tempel wurde um 470 vor Christus erbaut und Apollon oder auch Zeus gewidmet. Die Zuordnung an Poseidon ist nicht durch historische Zeugnisse erwiesen, sondern auf die Gelehrten des 19. Jahrhunderts zurückzuführen, die auf der Grundlage des Namens der Stadt Poseidonia es für wohl erachteten, den prunkvolleren und besser erhaltenen Tempel dieser Gottheit zuzuschreiben."

Hera-Tempel
Poseidon-Tempel
Ceres-Tempel

Die angesprochenen Gelehrten gaben allen Ruinen Namen, die heute noch vielfach verwendet werden, aber längst überholt sind. So war auch beispielsweise der Ceres-Tempel in Wahrheit der Athene geweiht, also der Göttin der Weisheit, nicht der Göttin der Fruchtbarkeit. Wenn es ums Kinderkriegen ging, wandten sich die Bewohner von Paestum wiederum an eine andere Gottheit. Davon zeugt das sogenannte Fortuna-Schwimmbecken:

[Audioguide:]
"Es wurde um 300 vor Christus erbaut und war der Göttin Fortuna Virilis geweiht, einer Inkarnation der Venus. Riten der Fruchtbarkeit zu Ehren der Göttin fanden hier statt. Die Statue der Göttin tauchte man in das Schwimmbad, dann wurde sie auf ein Podium von tragenden Steinpfeilern gestellt. Jetzt durften Frauen, allerdings nur verheiratete, ins Wasser eintauchen, um sich eine sanfte Geburt zu wünschen."

Blick über das Forum
Fortuna-Schwimmbecken
Amphitheater

Ob es gewirkt hat, ist nicht überliefert. Als Sportstätte jedenfalls wurde das Schwimmbecken sehr wahrscheinlich nicht genutzt – obwohl man auch das lange Zeit vermutete. Sport und Spiele gab es stattdessen im Amphitheater.

[Audioguide:]
"Es wurde im 1. Jahrhundert vor Christus erbaut und später erweitert. Dort fanden Schauspiele verschiedenster Art statt. Im 3. Jahrhundert nach Christus organisierte der Vertreter einer bedeutenden Adelsfamilie prunkvolle Lustspiele mit 40 Gladiatoren, einer Zirkusjagd und einer Aufstellung der zum Tode Verurteilten."

Eine makabere Vorstellung, bei der man dann doch froh ist, dass die Zeit der Antike lange zurückliegt.

 

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GEPRIESEN SEI DER GENIUS
- Goethes Schwärmerei über Paestum

Kampanien ist reich an antiken Städten und Stätten. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts ahnte kaum jemand etwas davon. Dann wurde 1738 Herculaneum wiederentdeckt, 1748 Pompeji und schließlich 1752 auch Paestum. Eine Welle von Ausgrabungen begann, die für die damalige Welt Erstaunliches zu Tage förderten und eine neue Begeisterung für das klassische Altertum entfachten. Aus ganz Europa pilgerten die Antiken-Fans in das südliche Italien, um die Tempel, Trümmer, Sensationen mit eigenen Augen zu sehen. Auch unser deutscher Dichterfürst Johann Wolfgang Goethe ließ sich von der Euphorie anstecken. Gemeinsam mit dem Zeichner Christoph Heinrich Kniep reiste er im März 1787 von Neapel kommend nach "Pästum" und hinterließ der Nachwelt dabei folgende schwärmerische Zeilen:
"Auf dem zweirädrigen leichten Fuhrwerk sitzend und wechselsweise die Zügel führend, einen gutmütigen rohen Knaben hintenauf, rollten wir durch die herrliche Gegend, welche Kniep mit malerischem Auge begrüßte ... Das Land ward immer flacher und wüster, wenige Gebäude deuteten auf kärgliche Landwirtschaft. Endlich, ungewiß, ob wir durch Felsen oder Trümmer führen, konnten wir einige große länglich-viereckige Massen, die wir in der Ferne schon bemerkt hatten, als überbliebene Tempel und Denkmale einer ehemals so prächtigen Stadt unterscheiden. Kniep, welcher schon unterwegs die zwei malerischen Kalkgebirge umrissen, suchte sich schnell einen Standpunkt, von wo aus das Eigentümliche dieser völlig unmalerischen Gegend aufgefaßt und dargestellt werden könnte.

Goethe in Italien

Von einem Landmanne ließ ich mich indessen in den Gebäuden herumführen; der erste Eindruck konnte nur Erstaunen erregen. Ich befand mich in einer völlig fremden Welt. Denn wie die Jahrhunderte sich aus dem Ernsten in das Gefällige bilden, so bilden sie den Menschen mit, ja sie erzeugen ihn so. Nun sind unsere Augen und durch sie unser ganzes inneres Wesen an schlankere Baukunst hinangetrieben und entschieden bestimmt, so daß uns diese stumpfen, kegelförmigen, enggedrängten Säulenmassen lästig, ja furchtbar erscheinen. Doch nahm ich mich bald zusammen, erinnerte mich der Kunstgeschichte, gedachte der Zeit, deren Geist solche Bauart gemäß fand, vergegenwärtigte mir den strengen Stil der Plastik, und in weniger als einer Stunde fühlte ich mich befreundet, ja ich pries den Genius, daß er mich diese so wohl erhaltenen Reste mit Augen sehen ließ, da sich von ihnen durch Abbildung kein Begriff geben läßt. Denn im architektonischen Aufriß erscheinen sie eleganter, in perspektivischer Darstellung plumper, als sie sind, nur wenn man sich um sie her, durch sie durch bewegt, teilt man ihnen das eigentliche Leben mit; man fühlt es wieder aus ihnen heraus, welches der Baumeister beabsichtigte, ja hineinschuf. Und so verbrachte ich den ganzen Tag, indessen Kniep nicht säumte, uns die genausten Umrisse zuzueignen. Wie froh war ich, von dieser Seite ganz unbesorgt zu sein und für die Erinnerung so sichere Merkzeichen zu gewinnen."

Paestum-Zeichnung von C. H. Kniep

Gerne hätte Goethe auch in Paestum übernachtet, aber es gab damals keine Herberge. Deshalb reiste er nach "Salern" zurück und tags darauf wieder nach Neapel. Über Kniep, den er offenbar nicht für den allerklügsten Zeitgenossen hielt, äußerte er immerhin noch lobende Worte, was dessen Zeichenkunst betraf:
"Die herrlichsten Umrisse sind gewonnen, ihn freut nun selbst dieses bewegte, arbeitsame Leben, wodurch ein Talent aufgeregt wird, das er sich selbst kaum zutraute. Hier gilt es resolut sein; aber gerade hier zeigt sich seine genaue und reinliche Fertigkeit. Das Papier, worauf gezeichnet werden soll, mit einem rechtwinkligen Viereck zu umziehen, versäumt er niemals, die besten englischen Bleistifte zu spitzen und immer wieder zu spitzen, ist ihm fast eine ebenso große Lust als zu zeichnen; dafür sind aber auch seine Konture, was man wünschen kann."
Auch das Urteil der Nachwelt über Knieps Landschafts- und Architekturzeichnungen von Paestum fiel sehr positiv aus. Sie seien von außerordentlicher Genauigkeit, heißt es bei Wikipedia, und als archäologische Dokumente durchaus geeignet. Vielleicht sogar mehr (und das ist jetzt MEINE persönliche Meinung) als Goethes verschwurbelte Beschreibungen.

Christoph Heinrich Kniep

 

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