Elm und Umgebung 4

WO DIE WELT ZU ENDE WAR
- Grenzerfahrungen bei Helmstedt

Heute ist der Elm zentral gelegen, mitten in Deutschland, etwa auf halbem Wege zwischen Hannover und Magdeburg. Vor gerade mal zwei Jahrzehnten war die Situation noch eine ganz andere: Wenige Kilometer östlich des Höhenzugs, hinter Helmstedt, war die Welt zu Ende. Denn hier verlief die innerdeutsche Grenze. Betonmauern, Stacheldraht und Minenfelder trennten die Menschen zwischen West und Ost. Die meisten Grenzanlagen sind inzwischen längst verschwunden, doch an einigen Stellen wurden sie ganz bewusst erhalten – als Mahnung und Warnung, damit sich eines der düstersten Kapitel in der deutschen Nachkriegsgeschichte nicht wiederholt. Auf einer Besichtigungstour machen jüngere Besucher ganz neue Grenzerfahrungen, bei älteren werden Erinnerungen wach – auch an den 9. November 1989, den Tag, der plötzlich alles verändert hat.

Reportage (Radio hr4, 03.10.2009):

[zum Anhören klicken: komplette Reportage]

[O-Ton Zeitzeuge:]
"Ich hab' beim Abendessen gesessen, als dieser bekannte Satz fiel, dass die Grenzen auf sind. Und wir haben uns dann gleich auch auf den Weg nach Helmstedt/Marienborn gemacht und haben kurz nach 21 Uhr die ersten Trabis gesehen. Das war beeindruckend."

Der Grenzkontrollpunkt Marienborn dient heute als Gedenkstätte. Er lag an der Transitautobahn von Hannover nach West-Berlin und war bis zur Wende der meistfrequentierte Grenzübergang im geteilten Deutschland. Durchlässig allerdings nur in eine Richtung – und selbst da begleitet von Demütigungen und Schikanen der DDR-Grenzer:

[O-Ton Susanne Proetzel:]
"Beim Zoll war es so, dass man immer den Kofferraum, die Motorhaube öffnen musste, man musste die Rückbank umklappen, und dann wurden Spiegelwagen unters Auto gefahren, ob da irgendwo 'ne Veränderung vorgenommen worden ist. Und man wurde gefragt, ob man beispielsweise Bücher, Zeitschriften, Schallplatten mithatte, also Sachen, die an anderen Grenzen wirklich normal waren, die waren durchaus auch hier verboten."

ehem. Grenzkontrollpunkt Marienborn
Zollkontrollhäuschen
Susanne Proetzel

Susanne Proetzel ist Gästeführerin des Projekts "Grenzenlos", dessen Ziel es ist, Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands aufzuarbeiten. Sie lebt in Schöningen am Elm und hat die lästigen Kontrollen oft genug miterlebt. Noch schmerzlicher aber sind die Erinnerungen, die das Grenzdenkmal in Hötensleben bei ihr auslösen. Das Nachbardorf von Schöningen auf DDR-Seite war nach Westen hin komplett abgeriegelt.

[O-Ton Susanne Proetzel:]
"Es ging los mit der Mauer in der Ortslage Hötensleben. Dann kam der K2-Streifen – K war die Kontrolle, 2, weil er zwei Meter breit war. Dann kam der Signalzaun. Als nächstes folgt das Sicht- und Schussfeld, dann der Kolonnenweg, dann ein weiterer Spurensicherungsstreifen, sechs Meter breit, die Kfz-Sperren, dann schließlich der Sichtschutzzaun, und dahinter kommt noch mal das vorgelagerte Hoheitsgebiet, und erst die Bachmitte war die Grenze."

Ein ehemaliger Wachturm bietet einen guten Rundblick über das Gelände. Auch hier hat man die Grenzanlagen teilweise erhalten. Und obwohl sie vielen Menschen Leid und manchen sogar den Tod gebracht haben, finden es die meisten Besucher richtig:

ehem. Grenzanlagen bei Hötensleben
DDR-Wachturm
Heute offene Grenze

[O-Töne Besucher:]
"Das ist also Geschichte. Wie man heutzutage die KZ-Läger präsentiert, muss auch diese Geschichte aus meiner Sicht erhalten sein und bleiben. Und deshalb also mein Wunsch an die Jugend, dass die diese Information also bekommen. Das muss ganz einfach sein."
"Ich denke mal, für die jüngere Generation, die vor 20 Jahren geboren wurden und jetzt in die Schule noch gehen, für die ist die Grenze in dieser Form der beste Anschauungsunterricht, und darauf sollte man nicht verzichten."

Trotz Mahnmal und Gedenkstätte, die an die deutsche Teilung erinnern, hat sich das Leben für die Menschen rund um Helmstedt längst normalisiert. Die Welt ist hier nicht mehr zu Ende. Doch das ist für Sabine Proetzel auch nach 20 Jahren noch keine Selbstverständlichkeit.

[O-Ton Susanne Proetzel:]
"Ich fahre selten über die ehemalige Grenze, ohne mir dessen bewusst zu sein. Obwohl ich sehr, sehr oft fahre und auch gerne fahre – ich geh' hier zum Beispiel im Dorf zum Sport, in Hötensleben – und es ist nicht ganz normal, nein, es ist immer noch schön."

 

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